Soziales:Rotes Kreuz startet Modellprojekt zur Vier-Tage-Woche

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Ein Logo des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). (Foto: Uli Deck/dpa/Symbolbild)

Mehr Zeit für Hobbys und Familie - weniger Arbeit. Die Vier-Tage-Woche wird seit einiger Zeit heiß diskutiert. Das Deutsche Rote Kreuz in Sachsen-Anhalt startet mit der Gewerkschaft Verdi jetzt einen bundesweit einmaligen Modellversuch.

Von Simon Kremer, dpa

Magdeburg (dpa/sa) - Mit einem Modellprojekt in Sachsen-Anhalt will das Deutsche Rote Kreuz (DRK) die Vier-Tage-Woche vor allem in der Pflege einführen. Die Einigung sei bundesweit einmalig in der Sozialwirtschaft, teilten das DRK und die Gewerkschaft Verdi am Dienstag in Magdeburg mit. Ab dem kommenden Jahr gelte der neue Tarifvertrag, der für den Kreisverband Sangerhausen im Süden Sachsen-Anhalts nur noch vier Arbeitstage pro Woche vorsieht.

„Das Motto, das wir leben wollen, heißt: Mehr Flexibilität statt mehr Arbeit“, sagte der Vorstandsvorsitzende des DRK Kreisverbandes Sangerhausen, Andreas Claus, bei der Vorstellung des Konzepts. Die jüngsten der 400 Mitarbeiter vor Ort seien 18 Jahre alt, die Älteste 72 Jahre. „Jeder hat zu unterschiedlichen Zeiten andere Bedürfnisse.“

Gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi habe man den neuen Tarifvertrag verhandelt. Das Projekt soll auch wissenschaftlich begleitet werden. Man dürfe Wohlstand nicht nur monetär betrachten, sagte Thomas Mühlenberg von Verdi.

Sachsen-Anhalt habe in den vergangenen Jahren etwa 24.000 Pflegekräfte verloren. Der Job müsse zwingend attraktiver werden. Vor allem junge Leute wünschten sich mehr Gestaltungsmöglichkeiten.

Dabei steht das Deutsche Rote Kreuz mit seinen Überlegungen nicht ganz alleine da. Mehrere Umfragen hatten zuletzt gezeigt, dass ein Großteil der Erwerbstätigen in Deutschland Sympathien für die Vier-Tage-Woche hat. Laut einer Umfrage der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sprachen sich 73 Prozent der Befragten für eine Arbeitszeitverkürzung aus - allerdings nur bei gleichem Lohn. 17 Prozent legten eine Vier-Tage- Woche ab. Zu ähnlichen Zahlen kam auch eine repräsentative Umfrage des Versicherers HDI.

Die Vier-Tage-Woche ist allerdings nicht unumstritten. Erst vergangene Woche hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) scharfe Kritik an der Idee geäußert. „Es gibt weltweit und historisch keine Gesellschaft, die ihren Wohlstand dadurch erhalten hat, dass sie weniger arbeitet.“ Auch die Industrie- und Handelskammer Erfurt lehnt verbindliche Regelungen zur Einführung einer Vier-Tage-Woche ab.

Erste Unternehmen probieren von sich aus jedoch schon neue Arbeitszeitmodelle aus, ähnlich dem Modellprojekt des DRK in Sangerhausen. Unter anderem eine Klinik in Bielefeld hatte vergangene Woche erklärt, im Sommer auf einer Station die Vier-Tage-Woche ausprobieren zu wollen.

Bei dem Hoch- und Dachbauunternehmen Gorgas und Leinetaler aus Sangerhausen läuft der Versuch seit rund einem halben Jahr. Anfang des Jahres sei die Vier-Tage-Woche für alle Mitarbeiter eingeführt worden, die nicht im Büro arbeiteten, sagte der Geschäftsführer Dustin Lichtenecker. Statt 40 Stunden müssten sie nur 36 Stunden arbeiten. Freitags sei ohnehin meist nur ein halber Tag gewesen, das könne jetzt an den vier Tagen ausgeglichen werden. „Dadurch sparen wir uns auch zum Beispiel Sprit- und Fahrzeugkosten.“

Jüngere Mitarbeiter könnten jetzt auch mal ihre Kinder aus der Kita abholen. Ältere Kollegen, die mit 63 vorzeitig in den Ruhestand gehen wollten, hätten sich jetzt noch einmal anders entschieden, sagt Lichtenecker. „Die Rückmeldungen sind durchweg positiv, dabei haben wir das allen freigestellt.“

Auch andere Unternehmen experimentieren mit flexibleren Arbeitszeiten, etwa das Klebetechnik-Unternehmen Dr. Eberhardt aus Kahla in Thüringen oder die Werbeagentur F&P aus Leipzig in Sachsen.

Der Baumarkt Hornbach führte im vergangenen Jahr ein Modellprojekt ein, bei dem Mitarbeiter wählen können, ob sie ihre Arbeitszeit reduzieren, die gleiche Arbeitszeit auf weniger Tage aufteilen oder sogar kurzzeitig länger arbeiten möchten. Bundesweit nutzt dem Unternehmen zufolge derzeit rund ein Viertel der Hornbach-Beschäftigten das neue Modell.

Die Gewerkschaft IG-Metall will bei der nächsten Tarifrunde für die Stahlbranche die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich fordern.

Der neue Geschäftsführer des Allgemeinen Arbeitgeberverbands der Wirtschaft für Sachsen-Anhalt, Sebastian Schenk, sieht diese pauschalen Forderungen kritisch. „Man muss das jedem Unternehmen selbst überlassen“, sagte Schenk der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe durchaus Potenziale in Zeichen des Fachkräftemangels, aber jedes Unternehmen müsse selbst bewerten, welches Modell zu den internen Produktionsabläufen passt.

Beim Roten Kreuz in Sangerhausen sei die Belegschaft noch zurückhaltender, sagte die Betriebsratsvorsitzende Christina Kreft. Die Befürchtung sei da, dass mehr Arbeit in weniger Zeit zu machen sei. Für viele sei das neue Modell noch schwer vorstellbar.

© dpa-infocom, dpa:230530-99-879011/3

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