Archäologie - Schenefeld:Nadelstiche durch den Mantel der Geschichte

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Schenefeld (dpa/lno) - Einwohner als Archäologen - in der Gemeinde Schenefeld (Kreis Steinburg) hocken an diesem Freitag und Samstag Männer, Frauen und Kinder mit Kellen, Kehrschaufeln und Pinseln an kleinen Gruben. Schicht für Schicht graben sie sich in die Tiefe, angeleitet von Archäologen. Ihr Ziel: Die Geschichte ihrer Gemeinde mit archäologischen Suchgrabungen zu erforschen. Dazu haben zuvor Archäologen auf privaten und öffentlichen Plätzen etwa 20 kleine Flächen von jeweils nur einem Quadratmeter Grundfläche angelegt. Gut 40 Menschen von Jung bis Alt haben sich gemeldet, um an der Aktion teilzunehmen. Drei bis vier teilen sich in der Regel eine Suchstelle.

Es ist bereits das zweite Wochenende, in der Schenefelder zu Archäologen werden. Bei der ersten zweitägigen Bürgergrabung Ende Mai kam eine Vielzahl von Funden zutage - von modernen Heizungsabdeckungen über frühneuzeitliche Topfscherben bis hin zu steinzeitlichen Abschlägen. Eventuell sei auch etwas aus dem Mittelalter dabei, sagte die wissenschaftliche Organisatorin des Projekts, Ilka Rau vom Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA). Bevor detaillierte Aussagen getroffen werden könnten, müssten die Funde noch genauer untersucht und datiert werden.

"Ein solches archäologisches Gemeinschaftsprojekt von Wissenschaft einerseits und Bürgerinnen und Bürgern andererseits ist in Deutschland bislang einmalig", sagte ZBSA-Direktor Professor Claus von Carnap-Bornheim nach den ersten Ausgrabungen im Mai. Zusammen mit dem Archäologischen Landesamt hat er das Projekt initiiert. "In England sind derartige Bürgergrabungen schon länger üblich. Wie haben uns von Kolleginnen dort inspirieren lassen."

Schenefeld ist nach Angaben von Carnap-Bornheims ein idealer Standort für das Pilotprojekt. 2008 hatte das Archäologische Landesamt nahe der Schenefelder Bonifatiuskirche die Spuren zweier Grubenhäuser entdeckt. Sie konnten ins 9. Jahrhundert n. Chr. datiert werden und sind Indizien für eine der längsten Siedlungskontinuitäten in Schleswig-Holstein.

Um mehr über Strukturen und Ausmaße einer frühen Besiedlung herauszufinden, müsste man großflächig Grabungen durchführen - dies geht im bebauten Ortszentrum allerdings nicht. Daher die vielen kleinen Suchgrabungen. Sie seien "wie Nadelstiche durch den Mantel der Geschichte", sagte Rau. "Wenn man genug Nadelstiche hat, kann man irgendwann Strukturen auf der anderen Seite erkennen."

Darüber hinaus habe das Projekt einen sozialen Aspekt: Die Schenefelder und Schenefelderinnen lernten ihre Nachbarn und auch ihre Gemeinde dadurch auf eine anderen Art und Weise kennen.

Betreut werden die Freiwilligen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), des ZBSA, des Museums für Archäologie Schloss Gottorf (MfA), des Archäologischen Landesamts Schleswig-Holstein (ALSH) und des Kieler Exzellenzclusters ROOTS. Die Erfahrungen aus den Terminen im Mai und Juni werden nun evaluiert und fließen gegebenenfalls in Zukunft in weitere Suchgrabungen mit Bürgerinnen und Bürgern ein.

Und auch wenn nicht jeder Fund eine wissenschaftliche Sensation ist: "Jeder Fund, der gefunden wurde, wurde mit Stolz gefunden", sagte Rau. Und auch die Experten haben Spaß an dem Projekt und dem Austausch mit den Laien-Ausgräbern: "Wir sind durchweg begeistert."

© dpa-infocom, dpa:220610-99-619697/3

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