Corona-Apps:Heikle Experimente auf dem Smartphone

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In Norwegen gibt es schon eine Tracing-App gegen Covid-19. In Deutschland beginnt nun die Entwicklung. (Foto: AFP)

Behörden wollen Begegnungen und Herzfrequenzen erfassen: In der Pandemie rückt staatliche Technik noch näher an die Bürger heran. Der Streit um die richtige Tracing-App gegen Covid-19 war erst der Anfang.

Kommentar von Jannis Brühl

Jens Spahn und Helge Braun stehen nicht im Verdacht, in langen Nächten vor dem heimischen Computer an informationstechnischen Systemen herumzufrickeln. Und doch handeln Gesundheitsminister und Kanzleramtschef nach einem Grundsatz der Hackerethik: Dezentralisierung als Schutz vor einem übergriffigen Staat und vor anderen, böswilligen Hackern.

Die Entscheidung der Bundesregierung für einen dezentralen Ansatz bei der Tracing-App zur Nachverfolgung von Covid-19-Ansteckungen ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Die Liste der Kontakte eines Nutzers soll nur auf seinem Handy liegen. Wann er mit Gesunden und Infizierten Kontakt hatte, soll nicht in einem zentralen Datenspeicher erfasst werden, auf den Behörden, Epidemiologen oder gänzlich Unbefugte Zugriff haben könnten. Ganz freiwillig haben Spahn und Braun den Weg nicht gewählt. Nach einem Aufschrei von Fachleuten wurde es für sie einfach zu riskant, mit einem geheimniskrämerischen Ansatz - zentrale Datenbank, intransparente Programmierung - das Vertrauen der Bevölkerung zu verspielen, bevor Telekom und SAP überhaupt eine entsprechende App programmiert haben.

Wenn Wissen Macht ist, ist die Verteilung von Information ein Akt der Demokratie. Dennoch ist die dezentrale Lösung teuer erkauft. Nun ist nämlich offensichtlich, wie abhängig ein Staat im Katastrophenfall von internationalen Marktherrschern sein kann. Auch Apple und Google konnten ihre Vorstellungen einer App nämlich durchdrücken. Ohne ihre Betriebssysteme kann sie nie genug Menschen erreichen, um das Virus wirklich einzudämmen. Tracing muss die Erwartungen, die die Politik geschürt hat, ohnehin erst noch erfüllen. Abgesehen von Schwächen der Bluetooth-Technik, die Handys in der Nähe des App-Nutzers erfassen soll: Die App muss eine kritische Masse erreichen, um viele Infektionen erkennen zu können. Selbst in Singapur, wo die Menschen Staat und Technik stärker vertrauen als hierzulande, hat nur jeder Sechste die nationale App installiert.

Die deutschen Querelen um die App waren mehr als ein akademischer Streit zwischen zwei Informatiker-Fraktionen. Es ging um die Grundsatzfrage, welche Techniken der Erfassung der Staat im Ausnahmezustand in der Gesellschaft installieren soll. Wie viel muss der Bürger preisgeben, wenn Staat und Forscher dringend einen Überblick brauchen?

Diese Spannung ist mit der Entscheidung über die Tracing-App nicht gelöst. Der Kampf gegen Corona ist auch ein Experimentierfeld für Behörden, um völlig neue Daten aus der Bevölkerung zu ziehen. Über die Datenspende-App des Robert-Koch-Instituts verfolgt der Staat erstmals praktisch in Echtzeit den Puls von Bürgern, um zu erkennen, wo das Virus aufflammt. Datenflüsse aus Körpern können nun unmittelbar staatliches Handeln auslösen, in diesem Fall ein Eingreifen des Amtes. Zudem zeichnet sich eine Debatte ab, gegen die der Streit über die Tracing-App tatsächlich wie Nerd-Gezänk erscheinen wird. Längst denken Unternehmen und Behörden über einen digitalen Immunitätsausweis nach. Hier muss der Staat nicht nur den Seuchen- mit dem Datenschutz ins Gleichgewicht bringen, sondern auch mit dem Gerechtigkeitsgefühl. Denn so eine App wird Menschen vom gesellschaftlichen Leben ausschließen.

© SZ vom 29.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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