Überwachung an der Grenze:Private Daten als Wegezoll

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An manchen Flughäfen wollen Polizisten auch auf den Inhalt von Smartphones zugreifen. (Symbolbild) (Foto: dpa-tmn)

Ein Skandal, nicht nur in China: An den Grenzen sind Reisende der staatlichen Gier nach Information fast hilflos ausgeliefert. Ein Machtgefälle mit erpresserischem Potenzial.

Kommentar von Nicolas Richter

Bereitet man sich gründlich auf eine Auslandsreise vor, kann einem die Lust schon vor dem Abflug vergehen. Zu den üblichen Warnungen vor Taschendieben und Taxifahrern gesellen sich Updates des Tropeninstituts zu Dengue-Anstieg in Südamerika oder Enzephalitis in Taiwan. Weniger bekannt ist die Aufklärungsbroschüre des zuständigen Bundesbeauftragten zu "Datenschutz an der Grenze und auf Reisen". Demnach hat man schon mit dem Kauf eines Flugtickets etliches über sich aus der Hand gegeben: Reiseziel und -dauer, Kreditkartennummer, Kontakte, Essgewohnheiten. Aus der EU gelangt all dies längst an die USA und andere Länder und wird inzwischen auch in Europa gespeichert und verwendet, für Personenkontrollen oder Vorhersagen über künftige Straftaten.

Der Staat erinnert so gesehen an die Stechmücke, die das Dengue-Fieber überträgt - er saugt Reisende aus und lässt weiteres Ungemach befürchten. Touristen wecken in jenen Staaten, die sie besuchen, eine Gier nach Information, der sie sich kaum widersetzen können. An wenigen Orten spielt der Staat sein Gewaltmonopol so rücksichtslos aus wie an seinen Grenzen; immer öfter verhält er sich dort wie einst der Grundherr, der am Stadttor Wegezoll kassierte. Im Zeitalter digitaler Sammelwut und Überwachung verlangt der Staat statt Zoll nun lieber Daten, die er jahrelang speichert, auswertet und teilt.

Eine SZ-Recherche hat jetzt zum Beispiel offengelegt, dass China eine Ausspäh-App auf das Smartphone von Touristen lädt; diese greift nicht nur Telefonnummern und Profilfotos ab, sondern ermittelt heimlich auch zur Frage, ob der Betroffene ein Buch über den Dalai Lama gelesen hat, den Peking für einen Staatsfeind hält. Dies geschieht nicht an allen Grenzübergängen, aber dort, wo es geschieht, haben die Reisenden einen beschwerlichen Weg hinter sich; sie würden sich dem Telefonstaubsauger wohl selbst dann nicht widersetzen, wenn sie davon wüssten. Der Staat handelt dabei nach der Maßgabe: Wem das nicht passt, der kann draußen bleiben. So entsteht ein Machtgefälle mit erpresserischem Potenzial.

In China fügt sich das gut ins Bild einer modernen Diktatur, doch lässt sich eine ähnliche Sammelwut auch im Westen beobachten. Wer etwa ein US-Visum beantragt, muss neuerdings seine Nutzernamen für soziale Medien preisgeben sowie frühere E-Mail-Adressen und Telefonnummern. Aktivitäten im Netz können viel verraten über politische oder religiöse Überzeugungen; im Land der Meinungs- und Religionsfreiheit USA darf der Staat solche Informationen eigentlich nicht abfragen. Aber es gelten eben strengere Regeln für jene, die reinwollen.

Auch in Demokratien ging es an den Grenzen schon immer autoritärer zu als im Inland. Ein deutscher Polizist darf ein Auto nicht einfach durchsuchen, ein Zollbeamter schon - unabhängig von einem konkreten Verdacht. Eine Grenze ist sich eben selbst genug als Anlass für Kontrollen. Auch in den USA darf der Staat an der Grenze stärker in die Privatsphäre eingreifen, Fingerabdrücke nehmen und durchsuchen, weil er halt Gefahren abwehren muss. Auch finanzielle Interessen spielen eine Rolle, etwa bei der Jagd nach Schmugglern und Steuerhinterziehern.

Unstillbarer Drang, Daten zu sammeln

Im 21. Jahrhundert stößt nun der unstillbare staatliche Drang hinzu, Daten zu sammeln. Nicht nur in China, auch an den US-Grenzen müssen jedes Jahr Tausende Reisende aus zuweilen unklaren Gründen und ohne Gerichtsbeschluss ihr Handy oder ihren Computer abgeben und entsperren. Das ermöglicht dem Staat viel umfassendere Erkenntnisse als der Blick in eine Tasche oder einen Kofferraum. Zuweilen trifft dies sogar US-Bürger, etwa Netzaktivisten. Im Land selbst dürfte der Staat sie nie durchsuchen, doch an der Grenze geht eben vieles, das sonst nicht geht. Die meisten Betroffenen willigen dann aus Überraschung, Unwissen und mangels Alternativen ein.

Die Europäer sind in ähnlicher Lage: Polizeibehörden wie das BKA sammeln die Buchungsdaten sämtlicher Flugpassagiere und wollen mithilfe von Algorithmen Verhaltensprofile erstellen, um künftige Straftaten vorherzusagen. Wer fliegen will, kann sich dieser Rasterfahndung nicht entziehen.

All dies freilich sind Luxusprobleme - verglichen mit dem, was Flüchtlinge an den Grenzen der wohlhabenden Erdteile erleben. Wenn sich schon jene, die sich ein Flugticket leisten können, ausgeforscht vorkommen, so sind die übrigen geradezu ausgeliefert. In den USA verdursten sie, werden von Angehörigen getrennt oder in Zellen eingepfercht; auf dem Weg nach Europa hausen sie in libyschen Lagern, ertrinken oder irren auf Schiffen umher, die keinen Hafen ansteuern dürfen. Und weltweit lassen sich demokratische und autoritäre Regierungen die Durch- oder Einreise mit der Preisgabe von Geheimnissen bezahlen. Grenzen und Grenzgebiete verkommen immer mehr zu grundrechtsfreien Zonen; auch im Westen gerät der Rechtsstaat ziemlich genau dort, wo das Staatsgebiet endet, an seine Grenzen.

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Von Katharina Brunner, Lea Deuber, Felix Ebert, Frederik Obermaier, Nicolas Richter, Vanessa Wormer

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