Microsofts Gestensteuerung Kinect:Körper-Welten für die Xbox

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Die neue Computerspiel-Technik Kinect von Microsoft macht Menschen zu lebenden Controllern - doch das System leidet an Kinderkrankheiten. Ein Test

Helmut Martin-Jung

Dem Hinweis auf dem Fernsehbildschirm haftet nichts Feierliches an, es ertönt keine Fanfare. Es heißt einfach nur: "Legen Sie jetzt den Controller weg." Dabei ist es genau das, worum es geht - denn für dieses Computerspiel müssen Gegenstände, die aussehen wie eine Kreuzung aus Schnurlostelefon und Massagestab, nicht mehr geschüttelt oder berührt werden.

Evolution der Gamepads
:Zocken mit Gesten

Die Steuerung von Spielekonsolen wie PlayStation oder Xbox wird immer einfacher - bald sind nicht einmal mehr Extra-Geräte notwendig. Die Evolution der Gamepads in Bildern.

Um ein Computerspiel mit Microsofts neuer Technik Kinect zu steuern, braucht man nach kurzer Einrichtung nur den eigenen Körper - vor allem Arme und Beine, die von Infrarotsensoren und Kameras erfasst werden. Eine Revolution, nicht weniger. Also weg mit dem ganzen Controller-Krempel?

Das wäre dann doch etwas vorschnell, denn: Die Technik, die hier zum Einsatz kommt, ist von der schwerelosen Eleganz, mit der Tom Cruise als Polizist im Science-Fiction-Blockbuster "Minority Report" seinen gläsernen Computer mit Gesten steuert, noch ein gutes Stück entfernt.

Um bei Kinect zum Beispiel ein Spiel abzubrechen, muss man die linke Hand für einige Sekunden im 45-Grad-Winkel halten. Das funktioniert meistens, manchmal aber auch nicht, wenn der Rechner in der Konsole mit einer anderen Aufgabe beschäftigt ist. Problematisch ist auch die Auswahl von Menüpunkten, denn gewählt wird mit der Hand, die man ebenfalls für einige Sekunden auf dem gewünschten Feld halten soll.

Das klingt einfach und ist es eigentlich auch, weil die Felder ganz bewusst sehr groß sind. Aber merkwürdigerweise zuckt die Hand der Spielfigur auf dem Bildschirm immer mal wieder unruhig herum, obwohl der Spieler die eigene ruhig hält. Bald aber hat man den Dreh heraus - und einmal im Spiel, sind solche Macken schnell vergessen.

"Kniebeugen tiefer"

Dann nämlich ist man, wie etwa in dem Spiel Your Shape, ziemlich schweißtreibend damit beschäftigt, die Übungen nachzumachen, die einem ein virtueller Personaltrainer vorgibt. "Die Kniebeugen tiefer", mahnt er, wenn man es sich ein bisschen zu bequem machen will, und: "Bleibe im Rhythmus."

Letzteres ist aber gar nicht so einfach, obwohl in dem Spiel zwar die Umrisse des eigenen Körpers gut erkennbar dargestellt werden und nicht eine Spielfigur. Es dauert aber ein paar Zehntelsekunden, bis die eigenen Bewegungen auch auf dem Schirm zu sehen sind. Ganz so streng ist der Computertrainer aber meist nicht; und anders als ein lebender ist er auch nicht beleidigt, wenn man das Training wegen eines dringenden Anrufs unterbrechen muss.

Das von Ubisoft in Kanada entwickelte Spiel ist ein gutes Beispiel für die neue Richtung, die Microsoft und seine Partner mit Kinect einschlagen. Bisher dominierten für Xbox Spiele, die überwiegend von Jungs und Männern gespielt wurden - Spiele wie Call of Duty, Halo, Rennspiele oder natürlich die Fußballsimulationen Fifa und Pro Evolution Soccer. Nun aber kommen viele Spiele auf den Markt, die sich mehr oder weniger explizit an Frauen oder Familien wenden.

Allein drei Tanzspiele werben um die Gunst der Xbox-Nutzerinnen - Dance Evolution, Dance Central und Dance Paradise. Die jüngeren Spieler versucht Kinectimals für sich einzunehmen: Die Kinder schlüpfen dabei in die Haut von Jungtieren, die natürlich unwiderstehlich süß aussehen.

Wirft sich der Spieler auf den Boden, tut das auch das Bildschirmtier. Streichelt man es, dreht es wohlig den Kopf oder kuschelt auf den Boden. Man kann ihm aber auch Kunststücke beibringen - ein wenig erinnert die Sache an Philip Pullmans Erfolgsroman "Der Goldene Kompass", in dem jeder Mensch ein Tier als Begleiter hat, das untrennbar mit ihm verbunden ist.

Ein Spaß für die ganze Familie sind die Kinect Adventures. Explodierende Bälle durch die Gegend kloppen, auf dem Schlauchboot Wasserfälle hinunterrauschen oder auf einem verrückt gewordenen Schienenfahrzeug allerlei Hindernissen ausweichen - da ist der Lacher garantiert, wenn es Papa, besser: seiner Spielefigur, wieder mal eine Querstange ins Gesicht haut.

Weil die Kinect-Kameras nicht besonders hoch auflösen und die Erfassung vieler filigraner Bewegungen den Rechner überfordern würden, basieren die Spiele auf eher grobmotorischen Bewegungen - drischt man bei Kinect Sport mit dem rechten Fuß den Ball schräg nach links, nimmt der Avatar schon mal den linken Fuß dafür. Spaß macht es trotzdem.

Vor allem auch deshalb, weil man viele der Spiele zusammen mit anderen spielen kann. Wer sich ein bisschen Zeit nimmt, kann sich von Kinect erfassen lassen und wird dann beim nächsten Mal wiedererkannt. Wie allen optischen Sensoren, so sollte man es aber auch Kinect nicht allzu schwermachen - direktes Sonnenlicht, vielleicht durch vom Wind bewegte Bäume belebt, stört die Technik. Kaum aber ist die Jalousie nur halb unten, läuft alles wieder wie geschmiert.

Neue Xbox mit Anschluss

Um mit Kinect zu spielen, braucht es eine Xbox-Spielekonsole, die Kinect-Erweiterung und die für Kinect geeigneten Spiele. Kinect funktioniert mit allen Xbox-360-Modellen. Die jüngste, etwas kleinere Xbox, hat bereits einen eigenen USB-Anschluss für die Kinect-Erweiterung an Bord, die den nötigen Strom bereitstellt. Für die älteren Boxen steckt ein Netzteil in der Verpackung.

Der Kinect-Sensor kostet 150 Euro; zusammen mit einer Xbox Slim (ohne Festplatte) und dem Spiel Adventures sind 300 Euro fällig. Und die Spiele gehen derzeit für etwas mehr als 40 Euro pro Spaß über den Ladentisch.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 08.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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