Smarte Armbänder gegen Covid-19:Das Liechtenstein-Experiment

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Das Schloß Vaduz, Sitz der Fürstenfamilie Liechtensteins. (Foto: Henrique Ferreira/Unsplash)

In dem kleinen Fürstentum gab es bislang kaum Infizierte. Damit es dabei bleibt, sollen nun 2000 Bürger Armbänder tragen, die Puls und Körpertemperatur überwachen.

Von Jannis Brühl

Liechtenstein hat Probleme mit dem Coronavirus, von denen andere Länder nur träumen können. "Es sind mittlerweile so wenige Fälle, dass wir die Spur des Virus verlieren. Und das ist gefährlich", sagt Mauro Pedrazzini. 81 Fälle gab es bisher im Fürstentum, aber der für Gesundheit zuständige Regierungsrat fürchtet eine zweite Welle der Ansteckungen im Herbst, die das Land überfordern könnte. Im einzigen Krankenhaus Liechtensteins gibt es zwar Beatmungsgeräte, aber keine vollwertige Intensivstation. Schwere Covid-19-Fälle müssten in der Schweiz oder Österreich behandelt werden.

Deshalb hat Pedrazzini das Land mit seinen 38 000 Einwohnern zu einem Labor gemacht, um ein erneutes Aufflackern von Covid-19 schnell erkennen zu können. Regierung und Fürstenhaus haben in dieser Woche ein von ihnen finanziertes Projekt vorgestellt, in dessen Rahmen 2000 mit Sensoren ausgestattete Armbänder an Bürger verteilt werden. Die Bänder messen Hauttemperatur, Puls, Atmung sowie Blutfluss. Eigentlich sind sie dazu gedacht, die fruchtbaren Tage von Frauen zu erkennen.

Mehr als fünf Prozent der Liechtensteiner Bevölkerung sollen also künftig nachts die Bänder tragen. Tagsüber sollen sie diese laden, Bewegungen machen die Messungen ohnehin ungenau. Software soll dann die "Kardinalsymptome" von Covid-19 erkennen: erhöhte Temperatur, Atemnot und Husten. Am Ende der Entwicklung soll ein Algorithmus stehen, der anhand der Daten gelernt hat, welche Muster in den Signalen des Körpers auf eine Covid-19-Infektion schließen lassen, noch bevor ein Patient es selbst merkt. Maschinenlernen nennt man das. Schlägt die Software an, schickt sie dem Träger des Armbandes eine Nachricht: Isolier' dich besser und lass dich testen.

Hinter dem Projekt steht das Team von Lorenz Risch, einem Liechtensteiner Arzt, der mit seinem Familienunternehmen mehrere Labors betreibt. Seine Heimat eigne sich aufgrund der Größe gut für epidemiologische Studien, sagt er: Alles ist übersichtlich, und man könne schnell einen ausreichend großen Teil der Bevölkerung überzeugen, mitzumachen. "Beim Public-Health-Studium in Harvard haben mich immer alle um meine Herkunft beneidet: 'Du sitzt da auf einer Goldmine.'"

Solche Armbänder sollen den Herzschlag von 2000 Liechtensteinern im Schlaf überwachen. (Foto: Ava)

Liechtensteins Startvorteil besteht auch darin, dass Risch seit zehn Jahren eine Infrastruktur aufgebaut hat, auf die er nun aufsetzen kann. Mehr als 2000 heute 35- bis 51-Jährige machen seitdem bei einer Langzeitstudie mit, die ihre Daten erfasst, um Herz-Kreislauferkrankungen zu erforschen. Dieser Gruppe werden nun die ersten Armbänder angeboten. Die Teilnahme ist freiwillig. Im Herbst sollen dann mehr als 3000 weitere Liechtensteiner die Armbänder bekommen - dann würde fast jeder fünfte Einwohner des Landes eines tragen. Bis der Algorithmus wirklich fähig ist, die Krankheit zu erkennen, wird es aber auch dann noch dauern - wenn es überhaupt funktioniert. "Das ist Wissenschaft, das hat keine Erfolgsgarantie", sagt Pedrazzini.

Risch kam nach dem Corona-Ausbruch auf die Regierung zu. "Wie es so ist in einem kleinen Land, man kennt sich gut persönlich.", sagt Pedrazzini. Damit kein Verdacht auf Mauscheleien aufkommt, habe man die Ethikkomission Zürich aus dem Nachbarland das Projekt prüfen lassen. Der Staat komme an die Daten nicht heran, sie blieben bei Rischs Team, verspricht Regierungsrat Pedrazzini: "Das ist kein Orwell-Armband."

Er verweist auch darauf, dass die Fruchtbarkeits-Armbänder als Medizinprodukte zertifiziert sind und "präziser messen als eine Apple Watch". Auf Daten aus Konsumentenprodukten für Sportbegeisterte setzt ein deutsches Projekt, das vergangene Woche vorgestellt wurde: die "Datenspende"-App des Robert-Koch-Instituts (RKI). Wer sie installiert, kann Daten aus seinen Fitness-Armbändern an die Behörde schicken. Die will anhand der regionalen Verteilung erhöhter Pulsschläge und Körpertemperaturen mögliche neue Corona-Ausbrüche finden. Im Gegensatz zu Liechtenstein sollen die Daten keiner Person zugeordnet werden. Die deutsche Gesellschaft für Informatik kritisierte die App des RKI dennoch als "überraschend schlecht gemacht und daher dem Schutz der Bevölkerung eher abträglich". Der Programmcode könne nicht unabhängig überprüft werden, so sei der Schutz der Daten nicht garantiert.

Zur Liechtensteiner Strategie gegen Covid-19 gehört neben den Armbändern auch, dass die Regierung das gesamte Abwasser des Landes nach Spuren des Virus untersuchen lässt. Auch das ist in Liechtenstein vergleichsweise einfach, weil der ganze Dreck des Landes über eine einzige Kläranlage fließt.

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