IT-Gipfel Stuttgart:Kampf den Zombie-Rechnern

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Eine öffentliche Beratungsstelle soll Internetnutzern dabei helfen, Schadsoftware von ihrem PC zu entfernen. Prinzipiell eine gute Idee, wäre da nicht ein Problem.

Johannes Kuhn

Solche Mieter mag niemand: "Stellen Sie sich vor, Sie sind Vermieter und in Ihrem Haus wohnt in der dritten Etage jemand, der dauernd Sachen aus dem Fenster schmeißt", sagt Sven Karge, "da müssen Sie sich etwas überlegen."

Der Internet-Anschluss kann auch Schadsoftware in die Welt bringen (Foto: Foto: iStock)

Die Vermieter sind in diesem Fall die Internet-Provider, die Mieter ihre Kunden, die Internetnutzer. Und die schmeißen in der Tat manchmal Dinge aus dem Fenster, wenn auch unabsichtlich. Zum Beispiel, wenn sie durch das versehentliche Herunterladen von Schadprogrammen Internet-Kriminellen ermöglichen, die Kontrolle über ihren Rechner zu übernehmen. Botnetze nennt man solche Zombie-Armeen von Tausenden gekaperter Computer, durch die ferngesteuert Spam-Nachrichten versandt oder Webseiten zum Zusammenbruch gebracht werden.

Sven Karge ist Projektleiter beim Eco, dem Verband der deutschen Internetwirtschaft und will den "Mietern" helfen, sie sozusagen einer Art Therapie unterziehen. Dafür soll ein neues Beratungszentrum entstehen, das Nutzern mit Trojanern auf dem Rechner kostenlos dabei hilft, die Schädlinge loszuwerden. "Im Februar werden wir deshalb ein Call Center aufbauen, Anfang April wird die Webseite online gehen, spätestens im Juni wird das Call Center seinen Betrieb aufnehmen", verspricht er.

Aktionsplan für den IT-Gipfel

Was die Beratungsstelle kosten soll, ist nicht bekannt, jedoch werden sich voraussichtlich alle großen Internet-Provider am Projekt beteiligen. Weil mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik auch eine Bundesbehörde involviert ist, kann man daraus Schlagzeilen wie "Regierung plant Zentrale gegen Computerviren" schmieden. Das klingt nach Aktion, das lässt sich der Öffentlichkeit gut verkaufen und passt ganz gut ins Rahmenprogramm des IT-Gipfels, der am Dienstag in Stuttgart stattfand und im jährlichen Abstand vor allem heiße Luft produziert.

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Dabei ist eine kostenlose IT-Beratung eigentlich sinnvoll: Internetnutzer, deren Computer ohne ihr Wissen Teil eines Botnetzes werden, sollen von Internetprovidern künftig per E-Mail, SMS oder Brief darüber informiert werden. Darin wird ihnen eine Seite genannt, auf der sie Programme herunterladen können, mit denen sie den Schädling entfernen können.

Reagiert ein Nutzer nicht oder hat er Probleme, die Software zu installieren, erhält er eine Telefonnummer und einen Code. Mit dem kann er bei der Telefonzentrale des Anti-Botnetz-Zentrums anrufen und sich Schritt für Schritt erklären lassen, wie er die Schadsoftware los wird. 40 Mitarbeiter sollen die Anrufe der trojanergeplagten Nutzer entgegen nehmen. Die IT-Branche als Jobmotor, wie von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in Stuttgart gefordert - zumindest in Sachen Telefonsupport funktioniert das schon einmal.

Doch es gibt zwei Punkte, die Internet-Aktivisten Sorgen machen. Zum einen ist dies die Frage, woher die Internet-Provider die Informationen über die infizierten Computer bekommen. "Es geht nicht darum, den Inhalt von eingehenden und ausgehenden Mails zu filtern", verspricht Karge, "es gibt schlicht Erkennungsmechanismen, die darauf schließen lassen, dass sich hinter einer IP-Adresse ein infizierter Computer verbirgt."

Was, wenn der Nutzer die Aufrufe ignoriert?

Diese wenden Provider bereits heute an, wenn sie im Internetverkehr ihrer Nutzer nach bestimmten Mustern suchen - zum Beispiel besonders häufige Anfragen an einen bestimmten Server oder dauernde Massenmails von einem bestimmten Anschluss.

Bei Punkt zwei ist die Lage komplizierter: Was passiert, wenn sich Nutzer weigern, ihre Computer von den Schädlingen zu befreien? "Sollen wir sehenden Auges zusehen, wenn es Nutzern egal ist, dass ihre Rechner ferngesteuert werden und Schaden anrichten?", sagt Karge, "Dieser Frage müssen wir uns stellen." Deutschland soll bei der Anzahl der infizierten Rechner international auf Platz 3 rangieren, kein Ruhmesblatt für ein IT-freundliches Land, argumentiert er.

Als Reaktion käme in Frage, die Internetgeschwindigkeit der unwilligen Teilnehmer zu drosseln oder ihnen den Anschluss komplett abzuklemmen. "Wenn hier Kunden, die nicht mitmachen, mit Sanktionen rechnen müssen, ist das eine Form von Internetsperre", sagt Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, "und was ist mit den Leuten, die fälschlicherweise als Teil eines Botnets identifiziert werden?"

Internetsperren sorgen gerade in ganz Europa für Schlagzeilen, weil einige Regierungen illegale Downloads nach Vorwarnungen mit der Sperrung des Internetanschlusses bestrafen möchten. Die Debatte, ob das Ignorieren der Providerwünsche nach mehr Sorgfalt in Sachen Computersicherheit einen solchen Schritt rechtfertigt, dürfte kontrovers verlaufen.

Eco-Projektleiter Karge betont deshalb, erst einmal nicht über Netzsperren nachzudenken, ohne dies für die Zukunft auszuschließen. Auch Japan, das ein ähnliches Anti-Botnetz-System pflegt, kommt bislang ohne solche Maßnahmen aus: Dort nehmen ein Drittel der Besitzer infizierter Computer das Hilfsangebot an.

Hierzulande wären dies pro Monat 20.000 Nutzer. Eine solche Zahl wäre ein Erfolg, der auf dem nächsten IT-Gipfel sicherlich ausgiebig gewürdigt würde.

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