Erste Bücher zu Wikileaks:Thriller mit ungewissem Ende

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In Kürze erscheinen die ersten deutschen Bücher über Wikileaks. Im Fokus der Autoren steht auch Plattform-Gründer Julian Assange, dessen Leben sich vom beschaulichen Hippie-Märchen zum Polit-Thriller wandelte.

Andrian Kreye

Kurz nachdem die Enthüllungsplattform Wikileaks Ende November letzten Jahres die ersten 220 der über 250.000 diplomatischen Depeschen veröffentlichte, die ihr zugespielt wurden, klingelten bei Autoren, die sich mit Wikileaks beschäftigt hatten, die Telefone.

Wikileaks-Kopf Assange: Rückzug in die digitalen Tiefen des Raumes. (Foto: dpa)

Lektoren meldeten sich, die möglichst bald ein Buch zum Thema veröffentlichen wollten. In Deutschland war die Stoßrichtung vieler Anfragen deutlich. Um die Gefahren rund um Wikileaks sollte es gehen, vielleicht auch um die Gefahren des Internets an sich.

Nun wissen Lektoren in der Regel sehr gut, welche Bücher sich verkaufen. Sie kennen ihre Leser, und in Deutschland haben die so ihre Zweifel an der digitalen Wunderkammer des Internets. Nun steckt in der Debatte um Wikileaks jedoch so viel mehr als nur ein weiteres Feld kleingeistiger Entweder-Oder-Diskurse.

Deswegen kann man nur hoffen, dass die ersten beiden deutschen Buchveröffentlichungen zum Thema wegweisend sind. Denn sowohl die Textsammlung Wikileaks und die Folgen in der Edition Suhrkamp als auch das Sachbuch Staatsfeind Wikileaks der beiden Spiegel-Redakteure Marcel Rosenbach und Holger Stark gehen mit dem Thema jeder für sich gewissenhaft und differenziert um.

Es lohnt sich, beide zu lesen. Man sollte mit Staatsfeind Wikileaks beginnen. Denn die Geschichte des Plattformgründers Julian Assange und seiner Mitstreiter ist zunächst einmal ein politischer Thriller, der es mit Klassikern wie Die Drei Tage des Kondor oder den Büchern von John le Carré aufnehmen kann.

Ein Heimatloser ohne klares Ziel

Da ist die Geschichte von Julian Assange, der nach einer idyllischen Kindheit als Sohn einer Hippiemutter auf einer australischen Tropeninsel schon früh zum Flüchtling einer zerrütteten Familiengeschichte wird und sich in die Tiefen des digitalen Raumes zurückzieht. Er bleibt ein Getriebener, ein weltweit Heimatloser, dessen Leben das Wesen des Internet zu spiegeln scheint - ohne klares Zentrum, ohne klares Ziel.

Rosenbach und Stark schreiben diese Geschichte mit journalistischer Nüchternheit und einem guten Gespür für Dramaturgie auf. Da erinnert das Buch an Der Tod wird euch finden, Lawrence Wrights furiose Geschichte der 9/11-Attentate. Sie schaffen es aber vor allem, eine erst einmal komplexe und fremde Welt der Hacker, Netzaktivisten und Computerexperten lebendig werden zu lassen. Und das ist in keinem erzählerischen Medium ein leichtes Unterfangen. Gerade, weil ihm dies gelang, wird der Drehbuchschreiber Aaron Sorkin ja für den Facebook-Film The Social Network so gefeiert.

Machtkämpfe um die Alleinherrschaft

Nun haben Rosenbach und Stark einen enormen Vorteil. Sie gehörten als Redakteure des Spiegel zum kleinen Kreis internationaler Journalisten, die mithalfen, die Dateien aus dem Irak- und Afghanistankrieg, sowie aus der amerikanischen Diplomatie auszuwerten. Sie haben über Monate hinweg immer wieder mit Julian Assange und seinem deutschen Mitstreiter Daniel Domscheit-Berg getroffen.

Und sie haben die Zeit und die Möglichkeit gehabt, schon früh mit unzähligen Nebenfiguren der Wikileaks-Saga zu sprechen und Kontakte aufzubauen, noch bevor aus dem unbequemen Netz-Phänomen der späten Nullerjahre eine weltpolitische Kraft wurde.

So bekommt man in dem Buch einen Einblick in die internen Querelen bei Wikileaks und die ideologischen Verwerfungen innerhalb der Hackerszene. Da erfährt man beispielsweise, dass Wikileaks viele seiner ersten Datensätze von chinesischen Hackern bekamen. Man erlebt die Machtkämpfe um die Alleinherrschaft des egomanischen Assange.

Außerdem bekommt man mit diesem Buch einen ungewöhnlich präzisen Einblick in die bisher so hermetische Subkultur der Hacker. Das ist wichtig, denn nur wer diese Subkultur und ihren Wertekanon versteht, kann sich auch einen Reim auf Wikileaks machen.

Es ist eben nicht der reine Anarchismus, der diese Szene umtreibt. Es ist genauso die wissenschaftliche Lust am Möglichen und der fundamentalistische Gerechtigkeitssinn einer Kultur, die ihre Wurzeln ja keineswegs in den Informatikabteilungen der Computerkonzerne hat, sondern in den Utopien der kalifornischen sechziger Jahre.

US-Botschafter über internationale Politiker
:Putin, der "Alpha-Rüde"

Nicht nur Wladimir Putin weiß dank Wikileaks nun, wie die Amerikaner über ihn denken. Von Gaddafi bis Mugabe - was die US-Vertretungen über die internationale Polit-Prominenz zu berichten wissen. In Bildern.

Bei allem Sinn für Dramaturgie stellen sich Rosenbach und Stark nicht eindeutig auf eine Seite. Zwar bezeichnen sie Julian Assange gleich im ersten Satz des Vorworts als "derzeit wichtigsten Politaktivisten der Welt". Doch sie halten deutlich Abstand. Was allerdings nicht nur im Subtext des Buches immer wieder aufkommt, ist der enorme gesellschaftliche und politische Konfliktstoff, der in der Geschichte von Wikileaks steckt.

Es ist eben nicht nur ein Kampf um Transparenz, der sich im Streit um Wikileaks zuspitzt. Es ist ein Kampf der Generationen um Freiheit und Kontrolle im Netz, ein Konflikt, der gar dem Kampf um kulturelle und gesellschaftliche Befreiungen gar nicht so unähnlich ist, den Assanges Mutter und ihre Generation Ende der sechziger Jahre geführt haben.

Staatsfeind Wikileaks hat das Zeug zum ersten deutschen Grundlagenwerk zu diesem Thema zu werden. Es liefert die Basis für eine Debatte, die schon bald über weitere Bücher geführt werden wird, allen voran den Autobiographien von Julian Assange selbst, die im April auf deutsch bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen soll. Schon am 11. Februar soll Inside Wikileaks bei Econ herauskommen, verfasst von Daniel Domscheit-Berg, Assanges ehemaligem Mitstreiter, der aus guten Gründen bei Wikileaks ausgestiegen ist und demnächst mit seiner eigenen Enthüllungsplattform OpenLeaks ins Netz gehen will.

Wie vielschichtig die Debatte bleiben wird, kann man erahnen, wenn man die Textsammlung Wikileaks und die Folgen liest. Sie hat aus den unzähligen Texten und Meinungen der letzten Monate einen repräsentativen Querschnitt der Argumente herausdestilliert. Für das Faktenmaterial sorgt gleich zu Beginn Raffi Katchadourians Assange-Profil aus der Zeitschrift New Yorker, das oft im Netz weitergereicht wurde und vielen Journalisten als Grundlage für Wikileaks-Geschichten diente.

DIe Debatte hat erst begonnen

Dann aber beleuchten schon erschienene und exklusiv für die Anthologie geschriebene Essays das Phänomen von allen Seiten. Die Lektoren haben sich bemüht, die Waage zwischen Möglichkeiten und Gefahren für Medien, Politik und digitale Kultur zu halten. Da finden sich Texte aus Frankfurter Rundschau, FAZ und SZ, aus New York Times und Guardian, Intellektuelle wie Jaron Lanier und Christoph Möllers kommen genauso zu Wort wie die Diplomaten Wolfgang Ischinger und John Kornblum.

Auf beiden Seiten sind die Argumente stichhaltig und stringent. Was nur zeigt, dass die Debatte mit dem Aufstieg von Wikileaks zu einer weltpolitischen Kraft erst angefangen hat. Nicht nur das. Wikileaks markiert vor allem den historischen Moment, an dem das Internet nicht nur Technologie und Kommunikation verändert, sondern auch die Gesellschaft und die Politik. Inzwischen koppelt sich die Idee von der Organisation ab. Wiki wird zur Utopie. Das Ende des Thrillers und der Debatten bleibt deswegen weiter offen.

MARCEL ROSENBACH, HOLGER STARK: Staatsfeind Wikileaks. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011. 336 Seiten, 14,99 Euro.

HEINRICH GEISELBERGER (Redaktion): Wikileaks und die Folgen. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2011. 238 Seiten, 10 Euro.

© SZ vom 22.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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