Thomas Schweer weiß, dass er sich nicht beschweren sollte, wenn allen immer nur "Minority Report" einfällt, der Titel eines Science-Fiction-Thrillers mit Tom Cruise. "Der Name war ein Scherz. Als ich 2002 die Idee zu unserer Software hatte, lief der Film gerade im Kino", sagt Schweer. Er nannte sein Computerprogramm "Precobs" - angelehnt an die "Precogs" aus dem Hollywood-Film, die dank ihrer hellseherischen Fähigkeiten Morde verhindern können.
Verbrechen in der Zukunft voraussagen - so etwas Ähnliches machen auch Schweer und sein Geschäftspartner Ralf Middendorf. Die beiden sitzen aber nicht in einer futuristischen Stadt voller selbstfahrender Autos, sondern in einem Büro am Stadtrand von Oberhausen, hinter einem Wald, der GPS-Signale verschluckt. Von hier aus spüren sie Einbrecher in der Zukunft auf. Schweer ist Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkt Kriminalität, Middendorf Informatiker. Das Duo steht für jene Kombination aus Taten- und Datenanalyse, die gerade die Arbeit von Strafverfolgern verändert: Predictive Policing - vorhersagende Polizeiarbeit - umfasst mehrere Technologien, mit denen Ermittler Verbrechen vorhersagen wollen. Sie reichen von der automatischen Auswertung von Einbruchsstatistiken über Listen mit potenziellen Teilnehmern an Schießereien bis hin zu komplexen Systemen aus Drohnen und Kameras, die Terroranschläge vorhersagen sollen.
Es gibt hier keine Glaskugel, nur Programmiercode, für den Laien unverständliche Zeichenkombinationen in einem kleinen Fenster auf Middendorfs Laptop. Precobs berechnet die Wahrscheinlichkeit, mit der in einem bestimmten Gebiet ein Einbruch geschehen wird. In den gesammelten Daten der Einbrüche der vergangenen Jahre - Ort, Art und Weise, Tatzeit - findet der Algorithmus Muster, aus denen sich künftige Ereignisse ableiten lassen. Die Polizei kann dann Streifenwagen in der als gefährdet markierten Gegend konzentrieren.
Rot heißt: besonders bedroht. Der "Precobs"-Algorithmus errechnet, in welchen Münchner Straßenzügen Einbrüche wahrscheinlich sind.
(Foto: IfmPt)Die Software sucht nicht nach Wahrheit, sondern nach Korrelationen: Wenn auf A und B oft genug C gefolgt ist, geht sie davon aus, dass wahrscheinlich auch beim nächsten mal C folgen wird, wenn A und B zusammen auftreten. Dann schlägt sie Alarm. Einbrecher kehren oft innerhalb weniger Tage in ein Haus oder eine Nachbarschaft zurück, gerne zur gleichen Zeit eine Woche später. Schließlich haben sie den Tatort um die gleiche Zeit schon einmal leer vorgefunden. Kriminalität ist also berechenbar, zumindest die professioneller Täter.
Mensch oder Maschine - wer entscheidet über Kontrollen?
Nachdem Beamte in Zürich gute Erfahrungen mit dem Computerprogramm gemacht haben, testet es die bayerische Polizei von diesem Monat an in Nürnberg und München (mehr dazu hier). Mehrere Landeskriminalämter sind an der Software interessiert, darunter das von Baden-Württemberg. Auch Polizeigewerkschafter beschäftigen sich intensiv mit Predictive Policing. Skeptiker wie der Aktivist Matthias Monroy glauben aber, dass die Software Vorurteile von Polizisten gegen anders aussehende Menschen noch verstärkt und Unschuldige zu Zielen von Kontrollen machen. Und Datenschützer fordern, den Quellcode, also die DNA, aller Vorhersage-Programme offenzulegen. Schweer hält die Software dagegen für unproblematisch. Er zuckt mit den Schultern und sagt knapp: "Wir verwenden keine personenbezogenen Daten." Das Programm greife nur auf Details der Verbrechen zu, nicht auf Details einzelner Personen. Zudem sei die Technik nur eine Hilfestellung für Beamte aus Fleisch und Blut. Am Ende entscheide ein Mensch darüber, wo und wer kontrolliert werde.
Schweer weiß aber, dass das Thema heikel, der Hunger auf Daten schwer zu bremsen ist: "Da werden Begehrlichkeiten entstehen, wenn die Technik da ist." Manche Stadt in Europa will schon heute auch andere Delikte vorherberechnen lassen, wie Autodiebstahl oder Raub. In den USA versuchen Polizei-Nerds bereits, mit Computern herauszufinden, wer bald zum Mörder werden könnte.