Nachrichtensprecher sind ein Musterbeispiel an Seriosität. Sie sitzen hinter ihren Tischen mit Hemd, Krawatte, Anzug und geben sich alle Mühe, ernsthaft und professionell zu erscheinen. Trotzdem oder gerade deshalb hält sich in Filmen und Comedy-Programmen beharrlich der Witz, dass sie womöglich nur in Boxershorts und Kniestrümpfen im Studio sitzen. So wie es Marlon Brando einst bei Fernsehinterviews getan haben soll, um nicht abwärts der Gürtellinie gefilmt zu werden.
Hosen tragen die Moderatoren und Kommentatoren beim Computerspiel-Turnier ESL One im Fußballstadion von Eintracht Frankfurt schon unter ihrem Hemd und der Krawatte. Immerhin darf es schon mal eine ausgefranste Jeans sein. Aber die seriöse Fassade ist hier mindestens so wichtig wie bei der "Tagesschau" im Fernsehen. Auch wenn die meisten Zuschauer eher ältere Jugendliche als strenge Anzugträger sind. Aber professionelles Computerspielen in einer Wettkampf-Umgebung - von seinen Anhängern als E-Sport bezeichnet - ist ein großes Geschäft geworden und ringt um Anerkennung.
"E-Sport ist der größte im Mainstream unbeachtete Sport, den es gibt", sagt Ralf Reichert, Chef und Mitgründer der Electronic Sports League (ESL). Seit 1997 veranstaltet der 39-Jährige mit seiner Kölner Firma Turtle Entertainment Computerspiel-Turniere, seit dem Jahr 2000 unter der Marke ESL. Inzwischen ist die League neben dem zwei Jahre jüngeren US-Konkurrenten Major League Gaming (MLG) einer der größten internationalen E-Sport-Veranstalter.
Besucher aus 60 Nationen, das gibt es sonst fast nur bei Olympischen Spielen
Computerspiel-Turniere erreichen weltweit regelmäßig ein Millionenpublikum - vor allem über den auf E-Sport-Übertragungen spezialisierten Online-Streamingdienst Twitch. 45 Millionen Zuschauer nutzen die Plattform jeden Monat. Kein Wunder, dass die Google-Tochter Youtube an Twitch Interesse haben soll - und wohl bis zu eine Milliarde Dollar für eine Übernahme zahlen würde.
Es ist das erste Mal, dass ein Turnier wie das ESL One in einem großen Stadion stattfindet, in einem, in dem auch schon eine Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. 25 000 Zuschauer sind in die Frankfurter Arena gekommen, um anderen beim Computerspielen zuzugucken, zu Ticketpreisen zwischen 20 und 180 Euro. Schon auf dem Fußweg vom Bahnhof Frankfurt-Niederrad zum Stadion schallen der Jubel und die Sprechchöre der Fans herüber, als wäre es gerade ein ganz normaler Bundesliga-Samstag.
Besucher aus mehr als 60 Nationen, sagt Reichert, "das gibt es bei der Fußball-WM und bei Olympischen Spielen, aber sonst dürfte das kaum ein Sportereignis schaffen". Mehr als eine halbe Million Menschen sahen gleichzeitig über Twitch im Livestream dabei zu, wie das fünfköpfige Siegerteam, Invictus Gaming aus China, sich seinen Anteil an 200 000 Dollar Preisgeld erspielte. Insgesamt verfolgten laut Angaben der Veranstalter im Lauf des Wochenendes weltweit etwa drei Millionen Menschen die Live-Übertragung aus Frankfurt.