An einem Tisch bei Ootoya sitzen drei Frauen und die 9-jährige Yumi. Sie warten auf ihr Essen. Ootoya ist ein beliebtes Familien-Restaurant mit mehr als 600 Filialen in Japan. Das Essen ist gut und preiswert, aber nichts besonderes. Kaum hatten die Frauen bestellt, langten sie nach ihren Smartphones, die auf dem Tisch lagen. Fast automatisch, wie die Leute früher nach ihren Zigaretten griffen.
In ihre Bildschirme versunken, hören die drei gar nicht, wie Yumi nörgelt: "Ich will auch." Bis das Kind die Zahnstocherdose umkippt, und die Hölzchen über den Tisch fallen. "Hör' auf", faucht die Mutter, steckt die Zahnstocher zurück. Die Freundinnen schauen kurz auf und glucksen.
Japan ist eines der am dichtesten vernetzten Länder der Welt. Junge Erwachsene nutzen die Apps ihrer Smartphones im Schnitt anderthalb Stunden pro Tag, 14- bis 25-Jährige sogar zwei Stunden. Frauen mehr als Männer.
Die Japaner geben mehr Geld pro Kopf für Apps aus als die Nutzer in allen anderen Ländern weltweit.
In Japan hatte das Smartphone einen schwierigen Start. Die Handys waren den Geräten anderswo um eine Generation voraus, "halb-smart" sozusagen. Man konnte mit ihnen chatten, fernsehen, Radio und Musik hören; viele Roman-Bestseller der Nullerjahre sind als Handy-Literatur in Fortsetzungs-Häppchen entstanden, zumeist von unbekannten Autoren. Und dann zu Büchern gemacht worden.
Gleichwohl sind Japans IT-Konzerne gescheitert, als sie ihre überlegene Technik exportieren wollten. Sie konnten sich nicht auf das Ausland einstellen.
Inzwischen haben vor allem die jüngeren Japaner das Smartphone schneller angenommen als in den meisten andern Ländern. Zwei Drittel aller Japaner besitzen ein Smartphone, viele zusätzlich zum bisherigen Handy. Doch die Technologie der Smartphones stammt aus dem Ausland, von Apple, Google und Samsung. Nippons Unternehmen stellen bloß Komponenten her und konfektionieren Android-Geräte.
Das Essen kommt. Wie auf Kommando richten sich die Frauen auf, halten ihr Smartphones über die Gerichte und machen Fotos. Die Bilder laden sich automatisch auf "Line" hoch, eine Art Facebook und Skype in einem. Oder auf "Wechat", einem vergleichbaren Dienst der chinesischen Firma "Tencent". Die Gruppe hat noch nicht zu essen begonnen, schon gurgeln die Geräte, erste Kommentare tauchen auf den Bildschirmen auf. Kauend tippen die drei Antworten. Gesprochen wird kaum. Yumi stochert lustlos im Reis: "Iss jetzt", schnappt die Mutter.
Für 120 Euro gibt es drei virtuelle Freundinnen: Manaka, Rinko und Nene
Line, der auf Japan zugeschnittene Message-Dienst des koreanischen Webportals Naver, hat in Japan 50 Millionen und weltweit 350 Millionen Nutzer. Täglich werden zehn Milliarden Messages abgesetzt. 49 Prozent der japanischen Smartphone-User nennen Line ihre wichtigste App.
Nach dem Essen darf das Kind ein paar Minuten Candy-Crush spielen, bis die Mutter das Gerät wieder "braucht", wie sie sagt. Die Kleine weint, sie wolle auch ein Smartphone, in ihrer Schule hätten alle eines. Gemäß Statistik besitzen zehn Prozent aller Grundschüler, ein Viertel der Zehn- bis 14-Jährigen und 60 Prozent der Mittelschüler ein Smartphone. Über deren Navi können die Eltern jederzeit abrufen, wo das Kind sich aufhält.