Digitale Bildung:Der weite Weg zum vernetzten Klassenzimmer

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Virtuelles Klassenzimmer: Bio am Bildschirm (Foto: dpa)

Millionen schauen Vorlesungen im Netz. Tablets erobern weltweit die Klassenzimmer. Dazu gibt es Lernvideos auf Youtube und Nachhilfeunterricht im Netz. Die digitale, vernetzte Bildung ist auf dem Vormarsch - und wird von der rasanten technologischen Entwicklung ständig überrollt.

Von Pascal Paukner

Es dauert genau 14 Sekunden, bis der betont lässige Nachhilfelehrer mit den Anabolika-Oberarmen den Kampf um die Aufmerksamkeit seiner Schüler gewonnen hat. "Scheiß auf die Begriffe. In diesem Video gibt's von uns wieder einmal ein paar einfache Rechentricks von den alten Griechen", sagt er, um dann so richtig loszulegen: Brüche addieren und subtrahieren steht auf dem Stundenplan. "Echt ein Scheiß", sei das zwar. Aber weil man als Schüler um das Erlernen der Mathematik nicht umhinkommt, hebt der digitale Nachhilfelehrer dann doch zu einer dreiminütigen Erklärung an, die den Sachverhalt ganz profund zusammenfasst.

Es ist eine Szene aus einem Video, wie es sie im Internet zu Hauf gibt. Ob Integralrechnung, Kurzgeschichtenanalyse oder die Elektrophile Addition - wer sich diese Themen erklären lassen will, muss im Netz nicht lange suchen. Lernvideos auf Youtube, Nachhilfeunterricht im Netz, die digitale Bildung boomt. Einige Jahre nachdem sich Jugendliche das Internet als neuen Lebensraum erobert haben, sprießen auch die Bildungsangebote im Netz. Nicht alle setzen dabei auf einen so hemdsärmeligen Umgang wie die Macher des Bruchrechenvideos, es gibt zunehmend auch professionelle Angebote für Schülerinnen und Schüler.

Vorreiter bei der digitalen Bildung sind die Universitäten vor allem in den USA. Dort wird bereits seit Jahren intensiv an der vernetzten Bildungszukunft gewerkelt. Aufzeichnungen von Vorlesungen gehören vielerorts zum Standard. Der Präsident der renommierten Stanford University, John L. Hennessy, prognostizierte im vergangenen Jahr einen "Tsunami", der die Bildungslandschaft für immer verändern würde. Vergleichbar mit den Umwälzungen, die das Internet der Medien- und Musikindustrie gebracht habe, werde auch die universitäre Bildung verändert. Die Bedeutung der Präsenzlehre nehme ab, stattdessen würden digitale Bildungsinstitutionen an Bedeutung gewinnen.

Internetunternehmen wollen mitverdienen

Eine dieser Institutionen, von denen Hennessy spricht, ist die Khan Academy. Wer die Webseite dieser Bildungseinrichtung aufruft, hat die Möglichkeit, mehr als 4600 Lehrvideos zu studieren, kostenlos und auch ansonsten ohne Zugangshürden. Gründer der spendenfinanzierten Webseite ist der US-Amerikaner Salman Khan. Khan hatte im Jahr 2004 damit begonnen, seiner Cousine über das Internet Mathematik-Nachhilfe zu geben. Mit Erfolg. Schnell fragten auch andere Verwandte und Bekannte bei ihm an. Also begann der Absolvent des angesehenen Massachusetts Institute of Technology damit, Lernvideos auf Youtube zu stellen. Die entwickelten im Netz eine solche Popularität, dass Khan 2009 seinen Job als Börsenanalyst aufgab und die digitale Bildung zu seinem Beruf machte.

Khan wurde damit zum Vorreiter einer Veränderung, die inzwischen nicht nur mehrere Nachahmer hervorgebracht hat, sondern von der sich längst auch die etablierten Internetunternehmen gute Geschäfte versprechen. Apple beispielsweise hat 1200 Universitäten und 1200 Grundschulen dazu bewegt, Vorlesungen, Kurse und Lerninhalte auf iTunes U einzustellen, der digitalen Lernplattform des Unternehmens.

Den Institutionen bringt das Aufmerksamkeit, weil ihre Lehre plötzlich in die halbe Welt versendet wird (60 Prozent der Downloads erfolgen laut Apple von außerhalb der Vereinigten Staaten). Dem Technikunternehmen bringt das Einnahmen, weil die Inhalte über die Software des Unternehmens abgerufen werden müssen, was auch Apples Hardware-Produkte attraktiver macht, die besonders reibungslos mit der Software interagieren (siehe Lock-in-Effekt). Zusätzlich bietet das Unternehmen auch digitale Schulbücher an, die den Schülern zwar eine schwere Schultasche ersparen, aber idealerweise die Anschaffung eines iPads erfordern, wenn das nicht schon die Schule übernommen hat.

In Südkorea beispielsweise arbeitet der Staat daran, bis zum Jahr 2015 sämtliche Bildungsinhalte zu digitalisieren. Kosten: 1,4 Milliarden Dollar. Die Türkei will für 15 Millionen Dollar Schüler-Tablets kaufen und Microsoft hat erst kürzlich 14.000 Windows-8-Tablets an die Schülerinnen und Schüler im australischen Bundesstaat Queensland verkauft.

In Deutschland ist ein so flächendeckender Einsatz noch eine Sache der Zukunft. Aber es gibt erste politische Forderungen, die Ähnliches bewirken wollen. Die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestags forderte im vergangenen Jahr einen Laptop oder Tablet-Computer für jedes Schulkind.

Im Bundestagswahlkampf spielt das Thema zwar bisher kaum eine Rolle, aber die beiden Volksparteien haben in ihren Regierungsprogrammen die Absicht formuliert, Investitionen in diesen Bereich zu fördern. Bereits im März hatte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf der Computer-Messe Cebit den flächendeckenden Einsatz von Tablets an deutschen Schulen gefordert. "Jeder Schüler braucht einen mobilen Computer", sagte Steinbrück damals.

Doch dass allein schon die Existenz eines Computers für jeden Schüler einen Unterschied macht, glaubt unter Experten kaum jemand. Vielmehr steht immer wieder die Forderung nach einem medienpädagogischen Gesamtkonzept im Raum, das moderne Technik dort in den Schulalltag integriert, wo es sinnvoll ist.

Allein mit dem NSA-Skandal ließe sich stundenlang Unterricht machen

Ob es für die Institution Schule allerdings ausreicht, Lehrpläne zu ändern und die Lehrer besser auf die Herausforderungen neuer Bildungskonzepte vorzubereiten, ist fraglich. Die technologische Entwicklung verläuft so rasant, dass es eines ständigen Erneuerungsprozesses bedürfte, um die zunehmende Vernetzung der Welt kritisch im Schulalltag abzubilden. Allein der Skandal um den amerikanischen Geheimdienst NSA hat so viele fundamentale Gewissheiten über das Leben in der digitalen Gesellschaft geschaffen, dass sich damit stundenlange Unterrichtseinheiten bestreiten ließen.

Schule und soziale Netzwerke
:Wann Facebook für Lehrer zum Problem wird

Weil sie freizügige Fotos bei Twitter postete, wurde eine US-Lehrerin suspendiert. Auch in Deutschland gibt es Pädagogen, die in sozialen Netzwerken allzu freigiebig mit privaten Inhalten umgehen.

Von Johanna Bruckner

Und während in Deutschland noch über den Einsatz von Laptops und Tablets in Schulen diskutiert wird, hat das australische Online-Lernportal Open Colleges kürzlich eine vielbeachtete Infografik herausgegeben. Darauf zu sehen: 30 Möglichkeiten, wie sich Googles geplante Datenbrille im Unterricht einsetzen ließe. Mit diesem neuen Gerät könnte es künftig etwa möglich sein, Fremdprachen in Echtzeit zu übersetzen oder Unterrichtsstunden aus Sicht des Lehrers festzuhalten, schreiben die Autoren. Höchste Zeit, darüber zu diskutieren.

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