Studienplatzvergabe:"Da ist ein Losverfahren sinnvoller"

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Studierende der Human- und Zahnmedizin hören im historischen Hörsaal am Institut für Anatomie der Universität in Leipzig eine Vorlesung zum Nervensystem. (Foto: dpa)

Die Vergabe von Studienplätzen entscheidet über Lebenschancen. Doch die Auswahlmethoden sind weder nützlich noch fair, meint Psychologie-Professor Oliver Wilhelm.

Interview von Alexandra Straush

Oliver Wilhelm ist Professor für psychologische Diagnostik an der Universität Ulm. Er forscht zur Konstruktion und Evaluation von Leistungs- und Eignungstests.

SZ: Haben wir in Deutschland ein faires System der Studienplatzvergabe?

Oliver Wilhelm: Bedingt. Zulassungsstellen sind Verwaltungen. Sie sind an einem simplen, rechtssicheren Verfahren interessiert, nicht an einem besonders fairen. Oder an besonders guten Studenten. Denn deren Misserfolg fällt ja kaum auf die Universitäten zurück.

Und was ist das simpelste Verfahren?

Die Auswahl nach Abiturnotenschnitt. Der ist ja auch eine bewährte Kennzahl. Die internationale Forschung ist sich einig: Es besteht tatsächlich ein großer Zusammenhang zwischen der Abiturnote und dem Studienerfolg. Aber dieses Kriterium führt auch zu Fehlentwicklungen: Es kommen Menschen an die Hochschulen, die Physik oder Chemie studieren wollen - aber diese Fächer aus Angst vor einer schlechten Note in der Oberstufe abgewählt haben.

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Was wäre die Alternative?

Eignungstests. Die haben eine ebenso hohe Voraussagekraft bezüglich des Studienerfolgs. Sie zu entwickeln und durchzuführen kostet eben Geld. Wir haben einen solchen Test für das Fach Psychologie entwickelt, an der FU Berlin eingesetzt und zwei Jahre später anhand der Bachelor-Noten überprüft. Das Ergebnis war sehr gut, aber es gab ein Problem mit der Finanzierung. Laut Landesgesetz hätte die Durchführung des Tests die Bewerber maximal 25 Euro kosten dürfen. Und zu dem Preis war der Test nicht machbar.

Es sollen ja auch nicht nur zahlungskräftige Leute an die Hochschulen kommen.

An etwaigen Testgebühren wird ein Studium auch bei realistischen Preisen kaum scheitern. Und im Fall einer öffentlichen Finanzierung entstünden gar keine Gebühren. Im Übrigen spielt die Zahlkraft an anderer Stelle eine sehr große Rolle. Überall dort, wo die Nachfrage nach einem Studienfach besonders hoch ist, gibt es ein Angebot an privaten Hochschulen. Und dieses Angebot ist kostenpflichtig. Oder nehmen sie die Wartezeitregelung: Die wurde damals eingeführt, um das Grundrecht auf Bildung und freie Berufswahl zu garantieren, auch für diejenigen, die bei einer sogenannten Bestenauswahl keinen Studienplatz erhalten würden. Aber im Ergebnis belohnt das Verfahren alle, die sich das Warten wirtschaftlich leisten können. Oder die größte Frustrationstoleranz mitbringen. Eine Regelung, die im Ausland niemand nachvollziehen kann.

Warum nicht?

Weil sie volkswirtschaftlich schädlich ist. Es entstehen hohe Opportunitätskosten, weil die jungen Leute in der Zwischenzeit ja nur bestimmte Dinge tun dürfen - zum Beispiel kein alternatives Studium beginnen. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über die Vergabe der Studienplätze im Fach Medizin die Verhältnismäßigkeit von 15 Wartesemestern und mehr infrage gestellt. Da ist ein Losverfahren im Vergleich schon sinnvoller.

Welche Verfahren außen denen, die wir kennen, wären denn sonst denkbar?

Wir arbeiten in einem meritokratischen System. Es soll dazu führen, dass die intelligentesten und leistungsfähigsten Menschen einen Studienplatz erhalten. Das muss aber nicht so sein. Warum nicht die sozial Engagiertesten? Oder - das ist in anderen Ländern, in denen Bildung als ein Geschäft betrachtet wird, ja durchaus üblich - die Zahlungskräftigsten? Fakt ist: Mit der Änderungen der Zulassungsverfahren werden wir andere junge Menschen an die Hochschulen bringen. Aber wen wir mit welchem Verfahren ausschließen oder nicht, das ist in Deutschland nicht genügend erforscht. Aus internationalen Studien wissen wir, dass eine Mischung aus Abiturnoten und Testleistungen die besten Vorhersagen zukünftiger Studienleistungen erlaubt. In bestimmten Situationen können individuellere Verfahren mit Interviews nützlich sein. Aber die Ergebnisse aus dem Ausland sind auf unser Schulsystem nicht unbedingt übertragbar. Es wird über Lebenschancen entschieden. Aber es gibt in Deutschland darüber keine hinreichende wissenschaftliche und so gut wie keine gesellschaftliche Debatte.

Glauben Sie, dass sich die Zulassungsverfahren in Zukunft ändern werden?

Mit 2,87 Millionen Studierenden in diesem Wintersemester haben wir eine Zahl erreicht, die so hoch ist wie nie zuvor. Es werden absehbar weniger Studierende. Dann wird es seltener um Auswahlverfahren der Hochschulen gehen. Denn dann werden die Hochschulen zueinander in Wettbewerb um die Studierenden treten, um überhaupt noch ausgelastet zu sein.

© SZ vom 19.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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