Studium speziale: Zukunftsforschung:"Zukunftsforscher sprechen nie über die Zukunft"

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Zukunftsforschung ist nicht bloß Science-Fiction, sondern auch ein Uni-Fach: Johannes Kleske hat darin einen Master gemacht und erklärt, warum es in diesem Studiengang vor allem um die Gegenwart geht.

Protokoll von Eva Dignös

Johannes Kleske hat gerade an der Freien Universität Berlin seinen Master in Zukunftsforschung abgelegt - mehr als 15 Jahre nach seinem ersten Hochschulabschluss im Fach "Media System Design".

Warum ich Zukunftsforschung studiere: "Ich arbeite schon seit rund zehn Jahren mit einer eigenen Firma als Strategieberater und Zukunftsforscher und habe mir in dieser Zeit natürlich viel Praxiswissen erarbeitet. Doch wenn ich zu einem Entscheider in einem Unternehmen gehe und ihm sage 'Vertrauen Sie mir, ich habe ein gutes Bauchgefühl', dann antwortet der: 'Das ist ja nett, aber ich kann keine Entscheidung auf der Basis eines Bauchgefühls treffen.' Ich wollte deshalb ein besseres theoretisches Fundament, wollte meinen Methodenkoffer deutlich erweitern und eine wissenschaftliche Basis für das Bauchgefühl schaffen. Ich habe mich dann mit einigen Alumni des Studiengangs getroffen und schnell gemerkt, dass der Masterstudiengang ein geeigneter Weg wäre, diese Lücken zu füllen. Ich habe das Studium dann neben der Arbeit in der Firma absolviert. Mit Ende 30 mit 15 Jahren Berufserfahrung wieder an die Uni zu gehen, mit der Praxiserfahrung sich die Theorie anzugucken und sie gleich am nächsten Tag in der Praxis wieder einsetzen zu können, zu sehen, was funktioniert und was nicht funktioniert - das war sehr faszinierend."

Johannes Kleske Zukunftsforscher Serie Studienexot

Johannes Kleske arbeitet schon seit einigen Jahren als Zukunftsforscher - und hat das Fach trotzdem jetzt auch noch studiert.

(Foto: Kai Müller)

Was ich im Studium mache: "Es geht darum, Szenarien zu entwerfen. Ein Szenario beschreibt einen möglichen zukünftigen Kontext. Dafür schauen wir, wo wir Signale für Veränderungen sehen. Dabei arbeiten wir mit vielen, ganz unterschiedlichen Quellen. Das können Studien sein, Nachrichtenschnipsel, Trendberichte. Dann überlegt man sich: Was ist, wenn sich das in die Zukunft weiterentwickelt. Nehmen Sie zum Beispiel die E-Scooter: Irgendwann kamen die ersten Leute damit an. Dann hat man sich überlegt, wie sich unsere Städte verändern würden, wenn E-Scooter plötzlich ein Riesenthema wären. So kann man Szenarien erarbeiten, indem man verschiedene Studien heranzieht, daraus aber nicht nur Zahlen herausrechnet, sondern versucht, Zukunftsbilder zu bauen. Und ein Gefühl dafür zu bekommen, in welche Richtung es gehen kann. Entscheidend ist, dass man nicht nur ein Zukunftsbild erstellt, sondern verschiedene nebeneinander stellt, um den Vergleich und die Vielfalt zu haben."

Der wichtigste Fachbegriff: "Zukunftsforscher sprechen nie über die Zukunft: Man erkennt sie daran, dass sie das Wort immer im Plural verwenden, es geht um Zukünfte. Denn so lange die Zukunft nicht Gegenwart geworden ist, ist sie offen. Sie existiert nur als Erwartung, als Vorstellung in unseren Köpfen. Zukunftsforschung ist eigentlich Gegenwartsforschung, wir sprechen von gegenwärtigen Zukünften, also Zukunftsbildern, die jetzt in unserem Kopf sind und die erst einmal nichts mit unserer zukünftigen Gegenwart zu tun haben. Wir erstellen keine Prognosen. Unser Ziel ist es vielmehr, dass man in der Gegenwart bessere Entscheidungen für die Zukunft treffen kann, indem man versucht, verschiedene mögliche Entwicklungen zu antizipieren, um sich auf unterschiedliche Zukünfte vorzubereiten."

Der typische Student: "Den gibt es nicht. Die Studierenden kommen aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen. Die Studiengangsleitung legt großen Wert darauf, dass die Jahrgänge vielfältig zusammengesetzt sind, um den Austausch zwischen verschiedenen Disziplinen zu fördern und unterschiedliche Blickwinkel zu ermöglichen. Es ist schon ganz spannend, wenn Leute aus den Geisteswissenschaften mit Leuten aus der BWL zu diskutieren beginnen. Wir legen deshalb besonderen Wert darauf, am Beginn von Projekten das gemeinsame Vokabular zu erarbeiten. Ganz wichtig ist auch die Ambiguitätstoleranz, also sich nicht festlegen zu müssen, ob A oder B richtig ist, sondern es aushalten zu können, dass es A oder B oder sogar A und B sein können."

Was mich überrascht hat: "Es spielt nicht nur die Vorbildung eine Rolle, sondern die persönliche Disposition, die jeweilige Einstellung zur Zukunft. Für den einen ist Zukunft etwas, das passiert und auf das er keinen großen Einfluss hat. Für den anderen ist es etwas, das wir verändern und gestalten können. Wenn beide Personen das vorher nicht geklärt haben, dann birgt das ein extremes Frustpotenzial, weil man sich einfach nicht versteht. Das gilt auch im Alltag: Wir reflektieren unser eigenes Verständnis von Zukunft viel zu wenig und das führt immer wieder zu großen Missverständnissen."

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