Studieren in Europa:Warum das Geld für Erasmus knapp wird

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Von Europamüdigkeit keine Spur bei den Studenten in der EU: Mehr als drei Millionen junge Leute nutzen im vergangenen Jahr das Erasmus-Programm und lernten einen neuen Studienort kennen. Doch die Kosten sorgen in der Krise für Diskussionen.

Varinia Bernau

Wenn es so etwas gibt wie den typischen Erasmus-Studenten, dann ist es Xavier. Während seines Austauschjahres in Barcelona entdeckt der französische Wirtschaftsstudent das facettenreiche Nachtleben, die Tücken einer Fernbeziehung - und die U-Bahn Station Urquinaona. Ein Wort, so sagt er zu Beginn des Filmes "L'auberge espagnol", das ihm wie Sioux vorkommt und dann doch in einer Hirnwindung verankert bleibt, weil er so oft an der Station entlang läuft. Anfangs nur mit einem schweren Rucksack und einem zerknüllten Stadtplan, schließlich gemeinsam mit Freunden.

Wer mit Unterstützung des Erasmus-Programms ins Ausland geht, verbringt nur selten seine gesamte Zeit an der Hochschule - und genau so soll es sein. (Foto: Reuters)

Es ist eine Szene, in der viel Kitsch steckt, aber ebenso viel Wahrheit. Eine Szene, über die vielleicht auch manch ein Abgeordneter im EU-Parlament an diesem Dienstag nachdenkt. Dann wird über den Haushalt der Europäischen Union beraten und dabei auch über die Frage, wie viel Europa das Erasmus-Programm noch wert ist. Die Staaten, die jedes Jahr mehr Geld nach Brüssel überweisen, als sie aus dem gemeinsamen Topf erhalten, drängen auf mehr Sparsamkeit. Damit könnte auch die Förderung des Studentenaustauschs gekürzt werden.

Zumindest deutsche Studenten müssen sich noch keine Sorge machen. "Das Wintersemester ist gesichert", sagt Siegbert Wuttig, der beim Deutschen Akademischen Austauschdienst in Bonn für Erasmus zuständig ist. Etwa 80 Prozent der Gelder, die seine Einrichtung an die deutschen Hochschulen verteilt, habe die Kommission bereits überwiesen - und zwar für das gesamte Studienjahr 2012/2013. Er sei zuversichtlich, dass auch die weiteren 20 Prozent folgen und damit die Stipendien für das Sommersemester absichern.

Das fehlende Geld, so sagt Wuttig, wird entweder durch einen Nachtragshaushalt abgedeckt oder aus dem Budget des Folgejahres. Dann würden die Verpflichtungen aus dem Vorjahr allerdings wie eine Bugwelle in den neuen Haushalt schwappen. Und je höher die Verbindlichkeiten, die vom alten ins neue Jahr mitgenommen werden, desto knapper der Spielraum für neue Vorhaben. Spannend wird vor allem, welche Folgen dies in den nächsten Wochen für die Rahmenplanung des EU-Haushalts bis 2020 hat.

Mit 450 Millionen fällt Erasmus im aktuellen 130 Milliarden Euro umfassenden EU-Haushalt kaum ins Gewicht. Es ist eine Anschubfinanzierung für die europaweite Verständigung: Allein von den 200 Euro, die ein Studenten monatlich im Schnitt erhält, lässt sich der Austausch nicht stemmen. Es sind die Hilfe bei administrativen Hürden, die Erzählungen älterer Kommilitonen, die Studenten locken. 700 Deutsche haben das Programm zum Auftakt vor 25 Jahren genutzt, mehr als 30.000 waren es im Studienjahr 2010/2011.

Gewiss kann man darüber streiten, ob Europa in Zeiten, in denen manchem schmerzhafte Sparanstrengungen abverlangt werden, einem Anwaltssprössling die abendlichen Trinktouren durch spanische Bars finanzieren sollte. Doch bei Erasmus geht es gerade darum, die Welt jenseits der Hörsäle kennenzulernen. Statt der Scheine fürs Pro-Seminar bringen die Studenten etwas mit zurück, das weitaus wichtiger ist: Erinnerungen. Keine Generation vor ihnen verstand es so gut, diese am Leben zu halten. Dank Billigflieger und Facebook bleiben sie nah dran an ihren europäischen Nachbarn - an deren Sorgen und Sehnsüchten.

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So wie die fast 5000 deutschen Studenten, die im vergangen Jahr ein Erasmus-Semester an einer spanischen Uni und wohl auch ein paar Nächte in spanischen Bars verbracht haben. Kein anderes Land ist für den Austausch beliebter. Krise hin oder her. Studenten, das hat Wuttig beobachtet, wählen für ein Erasmus-Semester nicht etwa ein Land, in dem sie sich einen Job versprechen, sondern eines, dem sie sich sprachlich und kulturell nahe fühlen. Unter Spaniern sind nicht Deutschland oder England die beliebtesten Ziele, sondern Italien und Frankreich. Von Europamüdigkeit keine Spur. Drei Millionen Studenten nutzen Erasmus im Jahr. Tendenz steigend.

Das ist ein gutes Zeichen, weil da eine Generation kreuz und quer über den Kontinent reist, die Kriege und Grenzkontrollen in Europa zwar nicht mehr erlebt hat, die aber die Lasten der Schuldenkrise schultern muss. In Zeiten, in denen es darum geht, für dieses Problem gemeinsam eine Lösung zu finden, werden sich diejenigen leichter tun, die wie der französische Filmheld Xavier mit ihren Mitbewohnern aus Belgien, Dänemark, Deutschland, England, Italien und Spanien schon das Problem des zu voll gestopften Kühlschrank und der dreckigen Badewanne gelöst haben.

© SZ vom 23.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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