Seit bekannt geworden ist, dass die Universität Leipzig in ihrer Grundordnung nur noch die weibliche Anrede für Studenten und Dozenten verwenden will, gibt es mal wieder eine Debatte über Frauen, Männer und das richtige Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Ist die Entscheidung des Hochschulgremiums ein mutiger Schritt in Richtung "Geschlechtergerechtigkeit" oder ideologischer Irrsinn, wie viele Kritiker meinen?
SZ: Ihre Mitarbeiterin hat gerade gesagt: "Ich verbinde mit Frau Professor Schücking." War das korrekt?
Beate Schücking: Das ist der übliche Sprachgebrauch. Daran wird sich an der Uni Leipzig auch nichts ändern.
Dann reden wir über das, was sich ändert. In der Grundordnung Ihrer Hochschule gibt es künftig nur noch die Professorin, die Rektorin, die Wissenschaftlerin. Die männlichen Anreden fehlen komplett, per Fußnote wird erklärt, dass das Femininum auch die Männer meint. So weit richtig?
Richtig. Unser erweiterter Senat, der die Grundordnung bestimmt, hat darüber diskutiert, wie wir mit dem Thema geschlechtergerechte Sprache umgehen. Die Schrägstrichvariante - Professor/Professorin - fanden alle schrecklich. Dann die klassische Variante: Man nimmt die männliche Form und schreibt am Anfang eine kleine Fußnote, dass die Frauen sich bitte mitgemeint fühlen sollen. An dem Punkt haben mehrere Teilnehmer darauf hingewiesen, dass wir in vielen Statusgruppen, etwa bei den Studierenden, mehr Frauen haben. Deshalb wäre die klassische Variante ungerecht und die weibliche Form besser. Da haben sogar Mathematikprofessoren in der Runde gesagt: stimmt, geht beides. Ja, und dann hat sich die Mehrheit für die weibliche Version ausgesprochen.
Wie viele Mitglieder hat das Gremium?
Wenn alle da sind, etwa 80.
Davon Männer?
Die Mehrheit. Auch deshalb war ich überrascht über die Wahl.
Da sind Sie nicht allein. Ein Kommentator meinte, dass Leipzigs Akademiker in "Auerbachs Keller" ja traditionell gerne in "neue Dimensionen" vorstoßen. Waren Sie und Ihre Kollegen bei der Abstimmung nüchtern?
Wir waren nüchtern. Und ich muss sagen, dass mich die Heftigkeit einiger Kommentare überrascht hat. Da wird von vielen auch ein Missverständnis gesät, als ob die neue Grundordnung so furchtbar viel verändern würde.
Aber dass so ein Schritt ein Echo auslöst, müssen Sie doch geahnt haben.
Klar war uns bewusst, dass wir uns für die überraschende Variante entschieden haben. Aber dass das so einen Wirbel gibt: "Lächerlich", "peinlich". . .
... "Wahnsinn", "Irrsinn".
Wahnsinn, ja. Bis hin zu richtig aggressiven Äußerungen. All das zeigt, dass es mit der Gleichstellung noch nicht so weit her ist. In der Wissenschaft hinkt Deutschland weit hinterher, was den Anteil von Frauen angeht. Wenn ich mir das ansehe, dann haben wir mit unserer Entscheidung vermutlich eine sinnvolle Debatte angestoßen.
Sie glauben, dass der Titel "Professorin" in Ihrer Grundordnung dafür sorgt, dass mehr Frauen in die Wissenschaft gehen?
Es ist ein symbolischer Akt. Aber vielleicht hilft er, die Debatte über Geschlechtergerechtigkeit an den Unis zu beleben. Gerade an der Spitze haben wir auch in Leipzig noch viel zu wenig Frauen.
Wie viele Professorinnen haben Sie?
Wir sind dabei, den Anteil auf 20 Prozent zu erhöhen. Als ich das Rektorat 2011 übernommen habe, lagen wir bei 17 Prozent. Das ist ein zäher Prozess, gerade in klassischen Fächern wie Jura oder Medizin.
Dann halten wir mal fest: Sie wollen Gerechtigkeit herstellen und haben 20 Prozent Professorinnen. Deren Anrede gilt nun aber auch für die 80 Prozent, die männlich sind. Was ist daran gerecht?
Es geht um ein Dokument, unsere Grundordnung. Die bezieht sich auf alle Mitglieder der Universität, also auch auf unsere Studierenden, von denen die Mehrheit weiblich ist. Mir fehlt einfach die Phantasie dafür, dass die Männer unter der neuen Sprachregelung leiden könnten. Wir Frauen haben uns doch auch daran gewöhnt, dass man uns als Frau Professor anspricht.
Die Ökonomin Friederike Maier, die auch das Netzwerk "Gender Equality and Employment" der EU-Kommission berät, hat von "Notwehr" gesprochen. Nach dem Motto: "Wir drehen das mal um." Das klingt nicht nach friedlichem Miteinander. Das klingt kämpferisch.
Es ist nicht kämpferisch gemeint gewesen von den Mitgliedern unseres Erweiterten Senats. Der Tonfall war sehr zivil. Man hat sich an unser Universitätsmotto erinnert: Aus Tradition Grenzen überschreiten.
Gab es keinen Widerspruch?
Natürlich gab es auch kritische Stimmen, gerade unter den konservativen Vertretern etwa der Rechtswissenschaften: "Das können wir doch nicht machen!" Aber sie haben sich eben nicht durchgesetzt.
Kritiker einer "geschlechtergerechten" Sprache kritisieren vor allem das Konzept dahinter: Gender-Mainstreaming. Für sie ist das eine aggressive Umerziehungsideologie, die den Menschen ihr biologisches Geschlecht ausreden will und dabei die Sprache verhunzt. Der Journalist Volker Zastrow spricht in seinem Buch "Gender" von einer "politischen Geschlechtsumwandlung". Wie nennen Sie es?
Sicher nicht Umerziehung. Ich bin für eine geschlechtergerechte Sprache, ich bemühe mich auch überall, wo es geht, Formen zu finden, die ganz selbstverständlich beide meinen: Studierende oder Lehrende, zum Beispiel. Für den normalen Umgang reichen diese Begriffe völlig aus. In einem Dokument wie der Grundordnung, die auch die Hierarchie einer Uni widerspiegelt, gibt es aber schlicht nicht genügend Worte, um diese Linie voll durchzuziehen.
Es gibt eine Instanz, die Ihre Reform stoppen kann. Das sächsische Wissenschaftsministerium muss der neuen Grundordnung noch zustimmen.
Aus dem Ministerium haben wir bereits eine positive Rückmeldung erhalten.
Das Ressort führt eine Frau, Sabine von Schorlemer.
Ach, ich weiß gar nicht, ob die Sache bis zu ihrem Schreibtisch gelangt ist.
Was wäre denn, wenn die Landesregierung angesichts der öffentlichen Kritik Ihre Reform doch noch kassiert?
Dann kommen wir in subtile juristische Fragen. Das würde mich aber sehr wundern. Wir haben Hochschulautonomie.
Haben Sie zum Schluss noch eine Botschaft an Ihre Kritiker?
Keine Angst, liebe Männer. Wer souverän ist, wird damit fertigwerden.
Beate Schücking, 57, hat Medizin und Philosophie studiert, 1989 ihre erste Professur übernommen und an mehreren Hochschulen gelehrt. Seit März 2011 ist sie Rektorin der Universität Leipzig, Deutschlands zweitältester Hochschule.
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