An vielen Schulen ist die Lage ernst: Laut Deutschem Lehrerverband fehlen fast 40 000 Pädagogen, Tausende Stellen mussten im Herbst notdürftig mit Seiteneinsteigern, Pensionären und Studenten besetzt werden. Sonja Dannenberger ist Rektorin an einer Grundschule in Wehr am Hochrhein. Sie erklärt, wie der Lehrermangel sich im Alltag auswirkt.
SZ: Frau Dannenberger, der Mangel an Lehrern macht besonders den Grundschulen zu schaffen, vor allem denen im ländlichen Raum. Sie führen eine solche Grundschule. Wie ist die Situation bei Ihnen?
Sonja Dannenberger: Wir spüren den Lehrermangel schon länger, so richtig eng wurde es dann aber im vergangenen Frühjahr. Da sind innerhalb von vier Monaten vier Vollzeit-Lehrerinnen ausgefallen, durch Schwangerschaften mit sofortigem Arbeitsverbot. Plötzlich standen eine Inklusionsklasse, eine Abschlussklasse und zwei weitere Klassen ohne Klassenlehrerin da.
Wie viele Lehrer haben Sie insgesamt?
Eigentlich 18. Unsere Grundschule ist dreizügig, also sind zwölf von ihnen Klassenlehrer. Die anderen sind Fachlehrer.
Das heißt, Sie haben ein Drittel Ihrer Klassenlehrer und fast ein Viertel Ihrer Lehrer insgesamt verloren. Aber ist das nicht nur Pech? Was hat das mit dem generellen Lehrermangel zu tun?
Mehr, als man im ersten Moment denkt. Denn in normalen Zeiten halten die Schulämter der Schulkreise einen Pool mit Vertretungslehrern vor. Sie schreiben Stellen dafür aus, stellen Lehrkräfte ein und führen Listen mit frei verfügbarem Personal, das man anfragen kann.
Und dieser Pool existiert nicht mehr?
Nicht wirklich. Sobald irgendwo doch mal ein freier Lehrer da ist, wird er sofort von einer Schule engagiert. Der Markt ist absolut leergefegt.
Könnten sich Schulen gegenseitig helfen?
Normalerweise schon. Auch von uns hat schon mal eine Kollegin einen Tag pro Woche in einer anderen Schule ausgeholfen. Aber das funktioniert nur, wenn sie einen Überhang haben. Die hundertprozentige Personalabdeckung reicht ja nur für den Pflichtunterricht. Für alles andere, wie Förderstunden, Chor, Krankheitsreserve oder Unterstützung in Inklusionsklassen, sind mindestens fünf Prozent Überhang nötig. Und nur, wenn man die hat, kann man auch mal anderen Schulen helfen.
Momentan ist das nicht drin?
Jede Schulleitung, die den Pflichtunterricht abgedeckt bekommt, kann froh sein. Viele können das nicht und starten wegen des Lehrermangels mit Minusstunden ins Schuljahr.
Was haben Sie gegen Ihre Notlage unternommen?
Wir haben mit unseren Pensionären gesprochen, drei von ihnen sind wiedergekommen. Einige Teilzeitkräfte haben aufgestockt. Eine Lehramtsstudentin, die bei uns ihr Freiwilliges Soziales Jahr gemacht hatte, ist eingesprungen. Eine zweite aus der Schweiz, die als Praktikantin bei uns gewesen war, kam auch und brachte noch eine dritte Studentin mit. Wir haben überall gesucht, wo es nur ging.
Studentinnen als Lehrerinnen?
Ja, das sind die sogenannten Nichterfüller ohne vollständige Lehrerausbildung. So wie die Musikschullehrerinnen, die auch bei uns eingesprungen sind. Nichterfüller müssen pädagogische Erfahrungen mitbringen, mindestens Kindergruppen geleitet haben. Über das Schulamt kam dann noch eine Sportwissenschaftlerin, die seitdem Sportstunden bei uns gibt.