Schulabschluss:Abiballaballa

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Eine kleine Braut des Bildungssystems: Manche Eltern verzichten auf den Familienurlaub, um sich die Abifeier der Tochter samt Ballkleid leisten zu können. (Foto: Günther Reger)

Nach dem Stress der Prüfungen sollen teure Abibälle für Ausgleich sorgen. Für viele Abiturienten geraten sie zum Fest der Selbstoptimierung. Dabei sollten sie eigentlich etwas ganz anderes feiern.

Kommentar von Matthias Drobinski

Jetzt geht es wieder los. Junge Frauen, ins Ballkleid gehüllt, Jungs, in den Anzug gesteckt, füllen stickig enge Räume oder verlieren sich in viel zu großen Sälen; kleine Bräute und Bräutigame des deutschen Bildungssystems paradieren unter den Augen der stolzen Eltern. Es gibt fades Essen zu gesalzenen Preisen, der Veranstalter weiß ja: Es gibt kein nächstes Mal. Die Abi- und Schulabschlussball-Saison hat begonnen und der mit ihr verbundene Irrsinn, Sauftour nach Korfu oder Kroatien inklusive.

Es ist ja nur gut, dass nicht mehr Schlabberpulloverträger einzeln ins Schulsekretariat schlurfen, ihr Reifezeugnis in die Tasche knüllen und grußlos verschwinden, im Glauben, dem kritischen Denken einen Dienst erwiesen zu haben. Ein Schulabschluss ist eine Lebenswende. Wer ihn geschafft hat, hat gelernt und gezittert, sich bemüht und das Glück strapaziert. Er soll feiern, laut und ausgelassen, soll Abschied nehmen von Schule, Lehrern, Klassenkameraden. Das muss nicht in der alten Schulturnhalle passieren, die den Schweiß der Schüler ins Mauerwerk gesogen hat. Im Gegensatz zur Formvergessenheit mancher Eltern sind Schüler heute oft überraschend förmlich, schlecht muss das nicht sein.

Trotzdem läuft da zunehmend was aus dem Ruder - wenn Eltern bis zu 1000 Euro fürs große Fest zahlen sollen und die ärmeren von ihnen lieber auf den Urlaub verzichten als zuzugeben, dass sie sich das gar nicht leisten können; wenn Schüler so viel Hirn auf die Organisation des Abiballs verwenden wie auf Mathe oder Englisch. Inzwischen gibt es Event-Agenturen, die einen Ball für 20 000 Euro auf die Bühne bringen; als vor einigen Jahren eine sich mit mehr als 40 000 Euro aus dem Staub machte, sammelte ein Berliner Radiosender für die Geprellten, als handle es sich um Erdbebenopfer. Die Abifeier ist wieder Ausweis sozialer Differenz - wie in den Fünfzigerjahren. Nur dass sich heute Jungs und Mädchen küssen dürfen und die Reden lustiger sind als einst.

Der Abiball ist nicht der letzte Teil der Abiprüfung

Die große Feier zum Schulschluss wird so zum Teil des großen Lebensdesigns, bei dem selbst das Ausgelassene durchgestylt und makellos sein muss. Das kann man nun den verschiedenen amerikanischen Highschool-Serien anlasten, in denen die glänzenden Prom Nights und all die Dramen um sie herum eine gewisse Rolle spielen. Das ist aber auch das Spiegelbild einer hart durchgetakteten Schulzeit, in der Lehrer, Eltern, Schüler oft in einer Art Angst- und Stressgemeinschaft verbunden sind: Ein Fehler, eine Unschärfe, eine Krise - und das ganze Leben erscheint versaut. Viele Schüler gehen in die Nachprüfungen, um den Schnitt um eine Zehntelnote zu verbessern: 2,1 statt 2,2! In fünf Jahren interessiert das keinen Menschen mehr - egal. Muss man sich da wundern, dass auf den monströsen Druck die monströse Feier folgt, der überdrehte Abistreich, die komatöse Abschlussreise?

Liebe Schülerinnen, liebe Schüler: Wollt Ihr das? Wenn ja, viel Spaß - und es hat schon so mancher von Euch bei der Finanzierung des großen Ereignisses besser rechnen und betriebswirtschaftlich denken gelernt als im Unterricht. Wenn nein, ein kleiner Rat: Macht halblang. Macht Euch locker. Der Abiball ist nicht der letzte Teil der Abiprüfung; die nicht perfekten Feste sind oft die schönsten Feste. Feiert nicht Eure Selbstoptimierung, feiert das Leben. Ihr habt es Euch verdient.

© SZ vom 30.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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