Pisa-Absteiger Schweden:"Etwas ist faul im Schulsystem"

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In den Siebzigerjahren, als Winberg von der Åsö-Schule Lehrerin wurde, war der Beruf attraktiv, das Gehalt auf Politikerniveau. Damals garantierte der Staat die Qualität des Unterrichts - und zahlte dafür. Alle Schüler sollten die gleichen Chancen haben, gingen gemeinsam auf die neunjährige Grundschule in ihrem Wohnort. Die Starken zogen die Schwachen mit.

Selbst im Stockholmer Vorort Rinkeby war das so, in dem in den vergangenen Jahren immer wieder Autos brannten und frustrierte Jugendliche randalierten. Dort unterrichtete Winberg vor 30 Jahren. Der Ausländeranteil sei früher schon hoch gewesen, die Leistungen nicht schlechter als anderswo. "Damals wollte ich gerne in dieser Gegend arbeiten, heute nicht mehr", sagt sie.

Den ersten großen Fehler machte Schweden laut Bildungshistoriker Hans Albin Larsson in den Achtzigerjahren. "Wir dachten, wir sind Weltmeister darin, ein Land zu gestalten, und egal was wir tun, das Ergebnis würde gut." Dann musste der Staat sparen, und die Schulen sollten billiger werden, aber nicht an Qualität verlieren. Diese schwere Aufgabe schob die Regierung 1989 an die Kommunen ab. Von nun an mussten sie die Schulen finanzieren und den Lehrplan vorgeben. "Das war eine total verrückte Idee", sagt Larsson. Die Rathäuser hatten weder Mittel noch Erfahrung. Die Lehrer gingen vergeblich gegen die Reform auf die Straße. Sie wurden Kommunalangestellte, ihr Gehalt sank, ihre Freiheiten auch.

Das Prinzip der Gleichheit war dahin

Als der Unterricht schlechter wurde, reagierte die liberal-konservative Regierung mit Fehler Nummer zwei: Die Kinder durften von nun an ihre Schule frei wählen. Das Steuergeld folgte ihnen, auch an private Schulen, die fast gleichzeitig Anfang der Neunzigerjahre erlaubt wurden. Mehr Wettbewerb sollte den Unterricht verbessern. Doch das Prinzip der Gleichheit war dahin. Schüler, deren Eltern sich um die Bildung kümmerten, flüchteten aus Klassen mit sozial schwächeren Schülern. Ein Ergebnis der Reform ist, dass mancherorts der Ausländeranteil heute bei nahezu 100 Prozent liegt. Integration ist so unmöglich geworden.

Auf der anderen Seite begannen Schulen verdeckt damit zu werben, dass sie leicht gute Noten vergeben und ihr Unterricht Spaß macht. Leistungsdruck lockt keine Schüler an. Larsson: "Wir alle spürten, etwas ist faul im Schulsystem."

Umstritten ist, welche Schuld die privaten Schulen an der Krise tragen. Kritiker sagen, man könne nicht guten Unterricht geben und gleichzeitig Profit machen - zumal die freien Anbieter pro Schüler denselben Betrag von der Kommune erhalten wie die öffentlichen. Sie fühlten sich bestätigt, als vergangenes Jahr einer der größten Träger, das dänische Unternehmen JB Education, Insolvenz anmeldete. "Das Problem von JB war, dass sie im letzten Jahr zu wenig Schüler hatten", sagt Claes Nyberg vom Verband der freien Schulen. Er schiebt das auf die Demografie. Den Vorwurf, private Träger würden nur Geld aus den Schulen ziehen, weist er zurück. Ihre Umsatzrendite läge nur bei drei Prozent im Schnitt, das meiste davon würde reinvestiert.

Für die Lehrerinnen Winberg und Elofssons ist die Einstellung der Schüler das Problem. "Die Kinder haben so viel außerhalb der Schule zu tun, mit ihren Computern und iPhones. Alles muss immer nur Spaß machen, auch der Unterricht", sagt Winberg. Und Kollegin Elofsson ergänzt: "Die Kommunen sagen uns: Gebt den Schülern Computer, und sie werden sich das Wissen selbst aneignen."

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