Integration:Warum Max besser abschneidet als Murat

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Wo kommst du her? Nicht selten werden Schüler diskriminiert. (Foto: Döhrn/imago)

Viele  Kinder und Jugendliche werden  in der Schule diskriminiert.

Von Matthias Kohlmaier, München

Die "Me Two"-Debatte in den sozialen Netzwerken hat nicht nur Aufmerksamkeit auf Alltagsrassismus in Deutschland generell gelenkt. Sie zeigt auch, wo er Betroffene besonders trifft: in den Schulen. Viele berichteten von Diskriminierung durch Lehrkräfte und Mitschüler, die sich von Klischees und Vorurteilen leiten lassen.

Kein Klischee, sondern ein wissenschaftlich belegter Fakt ist, dass es Kinder mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen schwerer haben als ihre Klassenkameraden. Laut aktueller Pisa-Studie erzielen sie im Durchschnitt in allen getesteten Bereichen - Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften - um bis zu 20 Prozent geringere Punktwerte. Sie fühlen sich außerdem unglücklicher in der Schule und haben öfter das Gefühl, in der Klasse nicht dazuzugehören. Der "Chancenspiegel 2017" der Bertelsmann-Stiftung hat zudem gezeigt: Für Jugendliche mit ausländischem Pass ist das Risiko eines Schulabbruchs ohne Abschluss mehr als doppelt so hoch wie für ihre deutschen Mitschüler.

Die Leistungsunterschiede erklären Forscher oft mit dem vergleichsweise niedrigen Bildungsniveau der Eltern von Kindern mit Migrationsgeschichte und den eher einfachen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, in denen die Schüler aufwachsen. Schwerer zu erklären sind die Ergebnisse einer neuen Studie der Universität Mannheim. Demnach werden Grundschulkinder mit ausländischen Namen im Fach Deutsch von Lehrern schlechter bewertet als ihre deutschen Klassenkameraden - trotz gleicher Leistung. Für die Untersuchung sollten angehende Lehrkräfte Diktate korrigieren und benoten. Eine Gruppe bekam die Arbeit von "Max", die andere den identischen Text von "Murat". Zwar fanden die Probanden in beiden Arbeiten die gleiche Anzahl von Fehlern, sie gaben aber dennoch "Max" die bessere Zensur.

"Es gibt leider auch Vollidioten unter Lehrkräften", sagt Heinz-Peter Meidinger, Chef des Deutschen Lehrerverbandes, über Benachteiligungen aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Religion. Ein derartiges Verhalten sei kriminell, habe im Klassenzimmer nichts verloren und müsse sofort angezeigt und mit einem Disziplinarverfahren geahndet werden. "So ein Lehrer macht so etwas gewöhnlich nicht nur einmal, sondern häufiger."

Meidinger appelliert daher an alle Betroffenen, rassistische Ausfälle unverzüglich der Schulleitung zu melden - und an seine Kollegen, die Fälle streng zu verfolgen. "Natürlich gibt es Schulleitungen, die Probleme ein wenig unter den Teppich kehren wollen - beim Thema Rassismus aber darf keinesfalls jemand wegschauen." Einen flächendeckenden Rassismus in deutschen Lehrerkollegien erkennt Meidinger jedoch nicht. Das Thema müsse dennoch fester in der Lehrerausbildung verankert werden.

Das würde auch Serkan Günel unterschreiben. Er kennt das Problem aus zwei Perspektiven - zuerst aus der des Schülers, heute aus der des Lehrers an einer bayerischen Mittelschule. "An meiner Grundschule auf dem Dorf war ich vor 30 Jahren der einzige Türke, da gab es schon den einen oder anderen blöden Kommentar", sagt Günel, der eigentlich anders heißt. Er habe damals aber eine sehr engagierte Klassenleiterin gehabt, die jede Form von Rassismus sofort unterbunden habe. "An ihr orientiere ich mich heute noch, wenn es in meinen Klassen Ärger gibt."

Und wie funktioniert das an einer Mittelschule, wo Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen, mit ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten und Glaubensrichtungen zusammenkommen? Laut Serkan Günel durch klare Kommunikation auf Augenhöhe. "Ich will den Kindern nichts aufzwingen, ich will darüber diskutieren, wer was warum gesagt hat - egal, ob ein Muslim aufgrund seines Glaubens oder ein Pole aufgrund seiner Herkunft beleidigt worden ist." Dass er selbst türkische Eltern hat, hilft ihm dabei. "Ich kann wahrscheinlich besser nachempfinden, was in manchen Schülern vorgeht, als das der Kollege Max Mustermann könnte."

Wie wichtig das Thema Integration an Schulen ist, zeigt der Mikrozensus 2016. Demnach hat etwa ein Drittel der Schüler in Deutschland einen Migrationshintergrund. Wie etwa Sina Araya, Murat Azgin, oder auch Doruk Demircioglu oder Dejan Mihajlović.

Das sind keine erfundenen Namen, diese Menschen haben alle unter dem Hashtag "Me Two" Erfahrungen aus ihrer Schulzeit geteilt. Dejan Mihajlović zum Beispiel schrieb: "In der Grundschule erhielt ich im Zeugnis in Deutsch eine 2, obwohl alle meine Leistungen zuvor mit 1 bewertet wurden. Der Lehrer fragte meine Mutter und mich, wie sich wohl deutsche Mitschüler fühlen würden, wenn ein Ausländer in D ne bessere Note als sie hätte. Hat mich geprägt."

© SZ vom 02.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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