Ifo-Bildungsbarometer:Das haben wir uns selbst erarbeitet

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Das Studium ist geschafft. Aber wie viel ist davon günstigen Umständen zu verdanken? (Foto: Alejandro Alvarez/Unsplash)

Abschlüsse und Einkommen sind aus Sicht der Deutschen eine Frage der eigenen Anstrengung, weniger der Umstände. Dabei ist vielen klar, wie sehr Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängt.

Von Bernd Kramer

Man muss sich einmal vor Augen führen, wie lang der Weg des Erfolgreichen zu seinem Erfolg ist und wie viele Gabelungen und Unwägbarkeiten dabei zu passieren sind. Wird er in eine reiche oder arme Familie hineingeboren? Schafft er es aufs Gymnasium? Und dann auf die Uni? Bricht er ab, hält er durch? Findet er hinterher den richtigen Job und kann ihn auch behalten? Nicht allen gelingt ein gerader Weg, an jeder Zweigstelle der Bildungslaufbahn biegen viele ab und nur einige gehen voran, je weiter man kommt, desto weniger. Jede Sprosse, die man auf der Karriereleiter nimmt, lässt viele andere zurück.

Was unterscheidet die Glücklichen von denen, die in der Schule scheitern oder in die Armut rutschen? Wovon hängt der Erfolg im Leben ab?

Stellt man den Deutschen diese große Frage ohne jede weitere Erläuterung, geben sie eine bemerkenswerte klare Antwort: 85 Prozent sind der Meinung, dass ein hoher Bildungsabschluss vor allem oder eher auf eigener Anstrengung beruht. Nur 15 Prozent sagen, die Umstände seien entscheidend. Beim Einkommen glaubt immerhin noch eine klare Mehrheit von 69 Prozent, dass es vor allem das Ergebnis von eigenem Fleiß und eigener Mühe ist. Wir sind unseres Glückes Schmied - das ist offenbar die feste Überzeugung der meisten Deutschen. Erfolg in Schule, Uni und Beruf ist demnach selbstgemacht und eigenverantwortet. Das Scheitern wäre es im Umkehrschluss ebenso.

Zu diesem Ergebnis kommt das Ifo-Institut in seinem Bildungsbarometer, in dem es Jahr für Jahr die Stimmung der Deutschen erhebt. Die Schwerpunkte variieren, diesmal ist das Thema so grundsätzlich wie heikel: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Münchener Wirtschaftsforschungsinstituts wollten herausfinden, wie die Bevölkerung über Bildungsungleichheit denkt - und was sie für gerecht hält. Mehr als 4000 Menschen wurden dafür repräsentativ befragt. "Dass weite Teile der Deutschen vor allem die eigene Anstrengung für Einkommen und Bildungserfolg verantwortlich machen, ist auf den ersten Blick überraschend", sagt Philipp Lergetporer, Mitautor der Studie. Überraschend ist es vor allem deswegen, weil viele andere Einschätzungen der Befragten einen solchen unerschütterlichen Leistungsglauben nicht gerade untermauern würden.

So ist den Deutschen zum Beispiel durchaus bewusst, wie unterschiedlich die Bildungschancen im Land ausfallen. 55 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass Grundschulkinder aus günstigen sozialen Verhältnissen in Mathetests besser abschneiden. Damit liegt das Bauchgefühl der Mehrheit auf einer Linie mit den Ergebnissen internationaler Schulstudien wie Timss, die regelmäßig den Einfluss der sozialen Herkunft auf die Kompetenzen der Schüler dokumentieren, gerade in Deutschland. "Alles in allem schätzen die Deutschen die Ungleichheit im Bildungssystem recht akkurat ein", sagt Bildungsökonom Lergetporer. Eine überwältigende Mehrheit sieht in der Bildungsungleichheit zwischen Kindern aus günstigen und weniger günstigen sozialen Verhältnissen denn auch ein Problem, für 15 Prozent sind sie sogar ein sehr ernsthaftes Problem. Nur eine Minderheit von 14 Prozent sieht das nicht so.

Warum glauben sie dennoch so unbeirrt daran, dass vor allem die Leistung und nicht die Umstände den Bildungserfolg bestimmen? Die Ifo-Forscher bauten ein Experiment in ihre Umfrage ein. Einige der Teilnehmer informierten die Studien-Macher zunächst über das tatsächliche Ausmaß der Bildungsungleichheit im Land: Fast die Hälfte der Schülerinnen und Schüler aus gut situierten Haushalten besuchen das Gymnasium, aber nur 19 Prozent der Kinder aus schlechter gestellten Familien. Der Anteil derer, die den Bildungserfolg mit diesem Wissen vor allem oder hauptsächlich als Ergebnis eigener Anstrengung betrachtet, sank zwar. Aber mit 74 Prozent war immer noch eine überragende Mehrheit der Meinung, dass der Bildungserfolg in der Verantwortung des Einzelnen liege. Dieses Bild ändert sich selbst dann nicht wesentlich, wenn die Forscher die Befragten zusätzlich darüber informieren, dass Kinder aus ärmeren Familien auch bei gleichen Leistungen und gleichem Können sehr viel seltener aufs Gymnasium gehen.

Studienautor Lergetporer mahnt allerdings, das Ergebnis mit Vorsicht zu betrachten. "Wir müssen noch viel genauer erforschen, in welchen Situationen die Menschen Ungleichheiten vor allem auf unterschiedliche Leistungen zurückführen und wann auf die Umstände", sagt er.

Paradoxerweise erhielten die Ökonomen ein entgegengesetztes Ergebnis, als sie danach fragten, wer verantwortlich für schlechte Bildungserfolge von Kindern sei. 74 Prozent der Befragten meinten, die Gründe müsse man vor allem in Umständen suchen, auf die die Kinder keinen Einfluss haben - etwa in der mangelnden Unterstützung durch die Familie. Dass die Kinder sich nicht genügend angestrengt hätten, scheint als Erklärung eher zweitrangig. "Möglicherweise neigen viele Menschen dazu, bei Kindern eher die Umstände und bei Erwachsenen eher die Leistungen hervorzuheben", meint Lergetporer. "Fragt man sie ganz allgemein, was für den Erfolg im Leben verantwortlich ist, denken sie womöglich an ihren letzten Ausbildungs- oder Studienabschluss als Erwachsener und vergessen die glücklichen Rahmenbedingungen, von denen sie als Kinder profitiert haben."

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