Homophobie in der Schule:"'Schwuchtel' geht flott über die Lippen"

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Wenn Lehrer bei schwulenfeindlichen Witzen mitlachen, wird ein solches Verhalten von Kindern nachgeahmt, sagt Sozialpsychologe Ulrich Klocke. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

"Schwul" gilt auf Schulhöfen als eines der häufigsten Schimpfworte. Im SZ-Gepräch erklärt Psychologe Ulrich Klocke, was Schüler damit beabsichtigen - und warum Lehrer homophobe Stimmungen mitunter begünstigen.

Von Johann Osel

Ulrich Klocke ist Sozial- und Organisationspsychologe an der Humboldt-Universität Berlin. Unter seiner Leitung hat ein Forscherteam die Akzeptanz sexueller Vielfalt an Schulen repräsentativ untersucht - im Auftrag der Politik.

SZ: Fast zwei Drittel der Sechstklässler in Berlin, also der zwölf Jahre alten Schüler, verwenden "schwul" und "Schwuchtel" als Schimpfwörter, 40 Prozent das Wort "Lesbe". Die Ergebnisse Ihrer Befragungen klingen erschreckend.

Klocke: Diese Ausdrücke gehören in der Tat zu den beliebtesten Schimpfwörtern auf dem Schulhof. Und die Hälfte der Sechstklässler und Sechstklässlerinnen lästert nach Angaben ihrer Mitschüler über Personen, die für schwul oder lesbisch gehalten werden. Alle abgefragten Mobbing-Kriterien waren in der Grundschule, die in Berlin bis zur sechsten Klasse geht, ausgeprägter als in den Oberschulen. Als wir für das Projekt mit den Schulleitungen in Kontakt getreten sind, waren die teilweise erstaunt - in jungen Jahren sei das noch kein Thema, hieß es. Aber unsere Untersuchung zeigt: Gerade hier ist es Thema, hier muss man handeln und für ein Umdenken sorgen.

Wie viel Schwulenhass steckt denn hinter einem Ausdruck wie "Du schwule Sau"? Oder ist das eine eher eine jugendliche Unbedachtheit?

Wir haben festgestellt, dass die Sechstklässler sehr wohl wissen, was die Begriffe in Wirklichkeit bedeuten. Wer so etwas auf dem Schulhof ruft, nimmt aber in der Regel nicht wahr, dass er damit Diskriminierung ausübt. Wir haben auch mit offenen Fragen die gängigen Schimpfwörter erforscht, oft beziehen sie sich im entferntesten Sinne auf soziale Gruppen - Hurensohn, Schlampe, Spast, Schwuchtel, Opfer, Penner, Jude. "Schwuchtel" geht flott über die Lippen, ganz gedankenlos. Dahinter steckt erst mal keine homophobe Absicht. Allerdings hat es dennoch eine homophobe Wirkung. Das ist fatal für Schüler, die vielleicht gerade ihre sexuelle Identität entdecken. Sie stellen fest, dass sich die möglicherweise eigene Gruppe in der Breite nur als Objekt der Beschimpfung eignet.

Woher kommt dann diese negative Besetzung der Worte? "Hausaufgaben sind schwul", sagen heute Schüler wie selbstverständlich. Früher hätten die Kinder wohl eher "scheiße" gesagt.

Kinder sind sehr stark an Geschlechtsstereotypen orientiert, beispielsweise in dem Schema: Jungen sind stark, Mädchen sind schwach. Schwul wird in erster Linie mit weiblich assoziiert - also mit einem Verhalten, das nicht männlich genug ist, um in der eigenen Bezugsgruppe zu bestehen. Ein Kind hat vielleicht nichts gegen Schwule, es will aber geschlechtskonform sein, nicht von seiner Gruppe abweichen - und wertet deswegen den Gegensatz ab, zeigt seine Rolle bei jeder Gelegenheit. Das wird mit zunehmendem Alter weniger wichtig, generell wächst dann ja auch die persönliche Reife. Homophobe Ausdrücke haben wir bei Schülern der zehnten Klasse deutlich seltener festgestellt.

Folglich finden sich die Schwulen-Ausdrücke auch bei Mädchen seltener?

Ja, das Geschlecht ist ein entscheidender Einflussfaktor bei homophoben Beschimpfungen. Der Faktor andere sind die Lehrer. Wenn diese zum Beispiel bei schwulenfeindlichen Witzen mitlachen, wird ein solches Verhalten von den Kindern nachgeahmt. Sie wissen, dass sie mit solchen abschätzigen Bemerkungen die Lacher auf ihrer Seite haben.

Die Lehrer lachen über Schwulenwitze?

Ja, das kommt durchaus vor, laut Studie bei einem Viertel der Lehrkräfte. Noch öfter kommt es vor, dass sich Lehrer lustig machen, wenn Mädchen sich im Alltag wie Jungs verhalten und Jungs wie Mädchen.

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Was wissen die Jugendlichen eigentlich über Homosexualität? Oder besser gefragt: Was wissen sie nicht?

Oft glauben sie, dass man sich aussucht, ob man lesbisch oder schwul ist; dass die sexuelle Identität also eine eigenständige Entscheidung sei, die man wie eine Mode annimmt. Wenig im Blick sind auch die Konflikte, die homosexuelle Jugendliche oft durchzustehen haben, viele Lehrer wissen nichts über das nachweislich erhöhte Suizidrisiko. Sie sehen keinen Problemdruck, ganz nach der Devise: Weil Wowereit und Westerwelle schwul sind, muss man gar nicht mehr groß über das Thema reden.

Schwul als Schimpfwort - das hört man auf Schulhöfen in ganz Deutschland, selbst in der Provinz. Im Falle Berlins denkt man aber unweigerlich auch an schwulenfeindliche Migranten.

Diese und frühere Studien zeigen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund eher negative Einstellungen zur Homosexualität haben und dass das auch mit traditionellen Geschlechterrollen und mit Religiosität zu tun hat. Das erklärt den Ton auf dem Schulhof aber nicht. In unserer Studie hat sich kein Effekt der Herkunft auf das Verhalten gezeigt, arabisch- oder türkischstämmige Jugendliche sagen etwa nicht häufiger "Du Schwuchtel".

Das allgegenwärtige Schimpfwort dürfte gerade für schwule Jugendliche heikel sein. Was können die Schulen tun?

Die Jugendzeit, die für andere Schüler mit der ersten Liebe und den ersten sexuellen Erfahrungen zusammenhängt, ist für viele Betroffene eine Zeit der Ängste und Fragen. Die Ächtung von Mobbing im Schulleitbild und das Einschreiten bei homophoben Beschimpfungen fördern nachweislich die Toleranz und das gesamte Klima, es kann Mobbing unterbinden.

Wie soll das stattfinden? Gehört dazu ein eigener "Toleranz-Unterricht"?

Im Idealfall wird Vielfalt wie selbstverständlich dargestellt, indem Lehrkräfte etwa Romane wählen, in denen auch lesbische und schwule Charaktere vorkommen. Beiläufig fördert man so Toleranz, es muss nichts Aufgesetztes sein. Es gibt aber auch direktere Möglichkeiten wie Projekttage. Oder man kann ehrenamtliche Aufklärungsteams mit jungen Lesben und Schwulen einladen. Sie erzählen aus ihrem Leben, ihnen können die Jugendlichen Fragen stellen, die ihnen ansonsten keiner beantworten würde. Selbst in Berlin ist es ja so, dass ein Drittel der Zehntklässler von keiner einzigen lesbischen, schwulen oder bisexuellen Person in ihrem Bekanntenkreis weiß. Auch wenn das schon rein statistisch eigentlich unmöglich ist.

Also kommt es auf die Lehrer an?

Eindeutig ja. Lehrer wissen oft nicht, wie unkompliziert man das Thema berücksichtigen kann, indem man es in den Unterricht einbindet. Damit kann man nicht früh genug anfangen - etwa schon in den ersten Schulklassen erwähnen, dass manche Kinder eben zwei Mütter haben. Für Kinder ist in der Regel das normal, was ihnen als Normalität vorgelebt wird. Es geht nicht um sexuelle Praktiken, wie manche befürchten, das wirkt auf keinen traumatisierend. Aber es sensibilisiert.

Wie sollten sich Lehrer verhalten, die selbst homosexuell sind - können Sie Vorbild sein? Oder ist ein Outing in der Schule problematisch?

Es gibt Hinweise, dass die Bekanntheit homosexueller Lehrkräfte positive Einstellungen und solidarisches Verhalten befördert. Da wäre es natürlich wünschenswert, wenn mehr Lehrer offen damit umgehen - sich nicht unbedingt mit großem Rummel hinstellen, sondern es wie selbstverständlich erwähnen, so wie etwa eine Kollegin von ihrem Mann spricht. Die Frage ist, wie man sich das in seiner eigenen Situation zutraut. Zu empfehlen ist wohl, sich bei der Schulleitung oder den Kollegen erst mal vorzutasten. Heikler ist fast der Fall, wenn die Lage unklar ist, wenn über eine Lehrkraft gemunkelt wird und Schüler das vielleicht für eine Machtprobe missbrauchen. Wenn klar ist, dass jemand selbstbewusst damit umgeht, bietet er wenig Angriffsfläche. Aber die Vorbildwirkung ist wahrscheinlicher, wenn ein Lehrer ohnehin Ansehen bei den Schülern genießt.

Insgesamt gesehen gibt es offensichtlich Handlungsbedarf an den Schulen. Nach den jüngsten Homo-Ehe-Urteilen predigt die Politik die Gleichstellung. Ist die Gesellschaft weiter als ihre Jugend?

Nein, unsere Untersuchung hat auch gezeigt, dass drei Viertel der Schüler sagen, dass schwule und heterosexuelle Paare natürlich die gleichen Rechte haben sollten. Man muss unterscheiden: Es geht bei den Schülern nicht um strukturelle Diskriminierung, sondern um zwischenmenschlichen Umgang. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sich die Einstellungen verbessern, wenn Schüler sehen: Es wird auch von rechtlicher Seite ein Zeichen gesetzt.

© SZ vom 04.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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