Hochschulen:Auf Mission: Unis suchen Dialog mit Stadtgesellschaft

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Oliver Fromm (r), Kanzler der Kasseler Uni, sieht sich im „SDG+ Lab“, dem neuen Nachhaltigkeitslabor der Universität Kassel, mit seinem Team eine Multimedia-Station an. (Foto: Uwe Zucchi/dpa)

Elfenbeinturm war früher: Hessens Hochschulen suchen immer stärker den Austausch mit der Stadtgesellschaft - in Kassel etwa ab sofort mitten in der Innenstadt.

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Kassel/Gütersloh (dpa/lhe) - Eine Anlaufstelle in der Innenstadt, Forschungsprojekte für Bürger, öffentliche Diskussionsrunden - Hessens Universitäten suchen immer stärker den Austausch mit der Stadtgesellschaft. Die Universität Kassel etwa öffnet an diesem Donnerstag ein Ladenlokal an einer beliebten Einkaufsstraße im Zentrum. Mit dem „Uni:Lokal“ ziehe Wissenschaft in die Mitte der Stadt, sagte der Kanzler der Kasseler Uni, Oliver Fromm. „Wir wollen damit stärker in die Stadt und die Region hineinwirken.“ Andere Hochschulen in Hessen verfolgen ähnliche Konzepte.

Neben den Kernmissionen der Hochschulen - Forschung und Lehre - gehöre die Interaktion mit Akteuren außerhalb der Uni inzwischen immer mehr zum Selbstverständnis der Universitäten, erklärte Cort-Denis Hachmeister vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh. Dieser auch als „Third Mission“ (Dritte Mission) bezeichnete Transfer diene zum einen der Legitimation der Unis. „Man zeigt den Menschen, warum es sie gibt, was sie machen und warum es wichtig ist, dass die Gesellschaft sie finanziert“, erläuterte Hachmeister. Zum anderen profitierten beide Seiten inhaltlich von dem Austausch. Die Hochschulen vermittelten den Menschen Gegenstand und Ergebnis ihrer Forschung. „Umgekehrt ziehen die Unis Inspiration aus dem Kontakt zur Stadtgesellschaft.“

Die erhofft sich auch die Uni Kassel. Das umgebaute Ladenlokal solle offener Veranstaltungsort und Treffpunkt der Stadtgesellschaft sein, erklärte Fromm. Zudem diene es als Nachhaltigkeitslabor der Uni. Ziel der Hochschule sei es, die nachhaltige Entwicklung von Stadt und Region voranzutreiben und dabei interessierte Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen, so der Kanzler.

Vier Themenjahre seien zunächst geplant, erläuterte Daniel Opper, Leiter der zentralen Transferabteilung UniKasselTransfer. Deren Aufgabe ist es, Wissen und Kompetenzen der Universität aktiv für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Im ersten Jahr gehe es um Herausforderungen im Bereich Umwelt und Energie. Eine Ausstellung im „Uni:Lokal“, an dem auch die Stadt Kassel mitwirkt, informiert über die weiteren Schwerpunktthemen von sozialer Ungleichheit über Kreislaufwirtschaft und Stadtentwicklung bis zu Kultur.

Auch die Philipps-Universität Marburg betreibt zusammen mit der Stadt ein Ladenlokal in der Innenstadt. Die Hochschule öffne sich in vielfältigen Projekten und Kooperationen zur Stadtgesellschaft hin, „und das schon seit langem“, erklärte ein Sprecherin. So würden etwa Bürgerinnen und Bürger in Forschungsprojekte eingebunden. Die Stadtgesellschaft könne auch Projekte vorschlagen, die dann semesterübergreifend durchgeführt würden. „Die Öffnung zur Gesellschaft - auch zur Stadtgesellschaft - gehört nach unserer Auffassung zur Kernmission von Forschung und Lehre.“

Auch die Justus-Liebig-Universität (JLU)Gießen habe den Anspruch, wissenschaftliche Erkenntnisse für Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur bereitzustellen und im gegenseitigen Austausch weiterzuentwickeln, sagte eine Sprecherin. „Eine besonders große Bedeutung und auch eine Servicefunktion für die Stadtgesellschaft hat natürlich unsere medizinische Forschung, auf deren Grundlage das Universitätsklinikum die medizinische Versorgung der Region sicherstellt.“ Darüber hinaus gebe es eine ganze Reihe konkreter Beispiele für die Öffnung zur Stadtgesellschaft.

Eines davon: Die Hermann-Hoffmann-Akademie der JLU als Lehr- und Lernort der Biologie, der sich konkret an Schülerinnen und Schüler wendet. „Ihr Markenzeichen ist das Skelett des Gießener Pottwals, der dort für die Öffentlichkeit zu bestaunen ist.“ Zudem werde die Antikensammlung der Uni seit vielen Jahrzehnten im Oberhessischen Museum in der Innenstadt ausgestellt. „Ein echter Publikumsmagnet ist regelmäßig auch die Ringvorlesung des Präsidenten, die sich jeweils im Wintersemester mit einem gesellschaftlich relevanten Schwerpunktthema beschäftigt, für das hochkarätige Rednerinnen und Redner an die JLU kommen.“

Ein enger Austausch mit der Stadtgesellschaft sei der Technischen Universität (TU) Darmstadt ein zentrales Anliegen, erklärte eine Sprecherin. „Wir sind überzeugt davon, dass Wissenschaft nur im kommunikativen Austausch mit der Gesellschaft gelingen kann, um gemeinsam zukunftsweisende und tragfähige Lösungen für die großen Herausforderungen unsere Zeit zu entwickeln.“ Eine zentrale Drehscheibe bilde dabei das „Wissenschaftsschloss“ der TU mit öffentlichen Vorlesungsreihen, Diskussionsrunden und kulturelle Veranstaltungen. Es diene als offener Ort der Begegnung im Herzen der Stadt. „Hier kommen in der Wissenschaft tätige und in der Stadtgesellschaft lebende und wirkende Menschen zusammen.“

Darüber hinaus öffne sich die TU unter anderem mit zahlreichen Veranstaltungen, Projekten und Initiativen der Stadtgesellschaft. „Dazu gehören Campusführungen, die Angebote des Kunstforums der TU Darmstadt mit innovativen Ausstellungsideen, der Botanische Garten mit rund 8 000 Pflanzenarten und der Hochschulsport, unter anderem mit dem öffentlich zugänglichen Hochschulbad“, so die Sprecherin.

Die Goethe-Universität Frankfurt bietet als Hochschule in bürgerschaftlicher Tradition „eine große Vielfalt an Formaten, die den Bürgerdialog stärken und Wissenschaft in die Gesellschaft tragen“, wie ein Sprecher sagte. Die Hochschule berate Politik und Wirtschaft, zum Beispiel im „House of Pharma“, dem „House of Finance“ oder dem Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK). Die Hochschule wolle zudem Forschungsprozesse verständlich machen und Forschungsergebnisse in die breite Öffentlichkeit vermitteln, zum Beispiel über die Frankfurter Bürgeruniversität und die Kinderuniversität.

© dpa-infocom, dpa:231116-99-964338/4

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