Grundschulen in Deutschland:"Es fehlt an Wertschätzung"

Lesezeit: 2 Min.

Die Arbeit mit Kindern wird in deutschland wenig honoriert - weder finanziell noch ideell. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Die internationalen Leistungsstudien zeigen: Die deutschen Grundschüler rangieren weiter im oberen Bereich. Doch ihr Können stagniert. Das liegt auch an der Ausstattung der Grundschulen, wie Udo Beckmann, Vorsitzender des Grundschullehrer-Verbandes, im Interview mit der SZ sagt.

Von Johann Osel

An den deutschen Grundschulen ist die Welt noch in Ordnung - zumindest was die durchschnittlichen Schülerleistungen im weltweiten Vergleich angeht. Die Zehnjährigen aus der Bundesrepublik schaffen es beim Lesen, im Textverständnis, in Mathematik und Naturwissenschaften auf der internationalen Leistungsskala knapp ins obere Drittel. Doch die am Dienstag in Berlin präsentierten neuen Studien Iglu und Timss zeigen erneut auch die bekannten deutschen Schwächen auf: Zu viele Risikoschüler, zu wenig Spitzenleister und nach wie vor eine extrem hohe Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft. Doch die Primar-Lehrer sehen einen Strauß voller Probleme, wie Udo Beckmann sagt. Der Grund- und Hauptschullehrer ist Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, der viele Grundschulpädagogen vertritt.

SZ: Durch die Vergleichstests gerät die Grundschule in den Blick. Das kommt ja sonst eher selten vor.

Udo Beckmann: Das stimmt. Bildung wird in der Gesellschaft meistens mit dem Abitur gleichgesetzt, oft genug geht es dann nur noch um Schulkstrukturen wie die Abschaffung der Hauptschule. Auch die Politik hat nicht hinreichend begriffen, dass in Grundschulen Grundlegendes geleistet wird, dass hier die ganze Bandbreite an Schülern zusammenkommt, dass sie direkt an die sozialen und familiären Bedingungen anknüpft. Hier können Innovationen am besten fruchten. Was man in der Grundschule schafft, kann man sich später vielleicht an Notmaßnahmen sparen. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr - das mag abgedroschen klingen, gilt aber. Doch es fehlt eben an der Wertschätzung für die Grundschulen, und das macht sich in der Finanzierung bemerkbar.

Inwiefern genau?

Für einen Grundschüler werden im Vergleich zu weiterführenden Schulen bis zu 2000 Euro weniger im Jahr investiert, auch im internationalen Vergleich hinken die deutschen Ausgaben im Primarbereich hinterher. Und Sieben- bis Achtjährige haben an deutschen Grundschulen zum Beispiel nur 22 Prozent der Stunden für Lesen und Schreiben, im EU-Schnitt sind es zehn mehr. Im Gegenzug sind die Stundendeputate unserer Grundschullehrer überdurchschnittlich hoch, bei deutlich schlechterer Bezahlung als etwa von Gymnasiallehrern. Es fehlt hierzulande generell an Wertschätzung für die Arbeit mit kleinen Kindern, zu sehen ist das auch im Erzieherberuf. Dabei stehen wir mit den Ergebnissen in den internationalen Tests doch ganz gut da, die Pädagogen leisten also trotz der schwierigen Bedingungen enorm viel.

Was muss besser werden?

Bei der individuellen Förderung ist man mit Gruppen- und Werkstattarbeit schon auf einem guten Weg. Doch man stößt an Grenzen: Die Schülerschaft ist heutzutage in Grundschulen unglaublich heterogen, Herkunft, Milieu, familiäre Rahmenbedingungen. Durch die Inklusion, also den gemeinsamen Unterricht mit behinderten Kindern, wird sich das noch steigern. In Klassen mit 25 Schülern und mehr, wie wir sie vor allem in westdeutschen Ländern haben, ist da nicht viel auszurichten. Wie soll man da auf den Einzelnen eingehen? Grundschulen sollen schließlich nicht nur Er- sondern auch Beziehungsarbeit leisten. Mehr in den Fokus rücken muss auch die Leseförderung. Das Entwicklungsfenster für die Sprache schließt sich nach heutigen Kenntnissen zwischen dem fünften und dem achten Lebensjahr. Deshalb brauchen wir eine Lesekultur von Anfang an. Wir müssen die Lust auf Sprache wecken, etwa durch Lesekreise im Ganztagsunterricht.

Kleinere Klassen, besser bezahlte Lehrer, Ganztagsunterricht, Inklusion. Das klingt sehr teuer, woher soll das Geld dazu denn kommen?

Das können die Länder nicht mehr alleine schultern, das funktioniert nur als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Es ist eine Zukunftsaufgabe für das ganze Land. Deswegen muss das leidige Kooperationsverbot im Grundgesetz fallen, das dem Bund die Mitfinanzierung im Schulbereich untersagt. Meiner Beobachtung nach mehren sich mittlerweile auch im schwarz-gelben Lager die Stimmen, die das Verbot für die Schulen aufweichen wollen. Und die meisten Länder stehen ohnehin finanziell mit dem Rücken zur Wand. Das Ganze ist nur noch eine Frage der Zeit.

© SZ vom 12.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: