Grundschule:Kommt alles in die Tüte

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Der erste Schultag ist einer der einschneidendsten Momente der Kindheit. Auch ohne große Party. (Foto: dpa)

Ein Smartphone als Geschenk? Gehört heute ebenso zur Einschulung wie Clowns und das "Abc-Schützen-Buffet". Wie Eltern den ersten Schultag zum Event stilisieren.

Von Katharina Pfannkuch

"Save the Date!" Im Frühling lag eine knallrote Karte mit leuchtend gelbem Schriftzug im Briefkasten. Ganz schön bunt für die Ankündigung einer Hochzeit, dachte man noch. Aber stattdessen überraschte auf der Rückseite der Karte die Bitte in kunstvoll geschwungener Schrift, sich doch den ersten Samstag im September frei zu halten. Um die Einschulung der Tochter einer Bekannten zu feiern.

Professionelle Einladungen zu Kindergeburtstagen sind längst Standard, nun wird also auch die Einschulung zum Event. Mit aufwendig gebastelten Schultüten und opulenten Feiern mit Kinderschminken und Puppenspieler scheinen sich die viel gescholtenen Helikopter-Eltern gegenseitig übertrumpfen zu wollen. Der ultimative Indikator für die neue Maßlosigkeit: das Smartphone in der Schultüte.

Am Ende landet es laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Research Now in sieben Prozent aller Schultüten. Was in der heutigen Zeit vermutlich eine gute Nachricht ist. Die Kosten für den Inhalt einer Tüte liegen dennoch bei durchschnittlich 60 Euro.

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Der große Tag der Kleinen wandelt sich: "Manche Familien feiern die Einschulung heute fast so groß wie eine Konfirmation", sagt Martina Ritzenhoff. Die Dozentin lehrt Pädagogik an der Fachhochschule Bielefeld und begleitete als langjährige Kita-Leiterin unzählige Kinder beim Übergang in die Schule. Der sei heute mit viel Druck verbunden. "Die Gesellschaft ist immer mehr vom Leistungsgedanken getrieben, Bildung gewinnt eine ganz andere Bedeutung. Die Kinder werden viel früher auf die Schule vorbereitet und spüren, dass etwas Großes auf sie zukommt. Deswegen sind auch die Eltern zunehmend angespannt."

Dadurch sei der erste Schultag ein wichtiger Moment im Leben der Kinder, der inzwischen extrem kommerzialisiert wird, so die Pädagogin: "Die Industrie stilisiert die Einschulung zum Event und suggeriert: Wenn du dein Kind liebst, investierst du auch viel in seinen schulischen Erfolg." Marek Breuning, Grundschullehrer in Ulmen in der Eifel, sieht das ähnlich: "Vor allem bildungsnahe Eltern haben Angst vor einem Bildungsabfall ihrer Kinder. Je tiefer die Verunsicherung, desto größer der Aufwand um die Einschulung." Der Druck belaste auch die Kinder. Erst kürzlich habe ihm eine Kollegin von einer angehenden Erstklässlerin berichtet, die Angst vor der Schule habe, weil Eltern und Großeltern sehr gute Noten erwarten.

Berlin, Heimat der berüchtigten "Latte-Macchiato-Mütter", gilt als eine der Hochburgen des Einschulungs-Hypes. So rät die Berliner Zeitung zwar, die Feier "auf ein verträgliches Maß" zu beschränken, schlägt aber als Rahmenprogramm nicht nur Clowns oder Zauberkünstler vor, sondern zum krönenden Abschluss gar ein Feuerwerk.

Auch Sarah Depold überlegte kurz, ihrem Sohn, der Anfang September auf eine Berliner Grundschule kommt, eine große Party zu schmeißen. Die 29-Jährige kennt all die Websites mit Tipps für die perfekte Einschulungsfeier, entschied sich dann aber trotzdem gegen ein Mega-Event. "Wir wollen nicht irgendeine Party feiern, sondern unseren Sohn. Es soll an dem Tag das Gefühl haben, etwas Besonderes zu sein, und dafür braucht es kein großes Fest." Deswegen gebe es nach dem ersten Schultag daheim einen Brunch mit den Großeltern, Tanten und Paten.

Eine kurze Begrüßung der Kinder und Eltern durch den Schulleiter, die Einteilung in die Klassen und anschließend die erste Schulstunde: So lief der erste Schultag viele Jahre an einer hessischen Grundschule ab. Doch vor sechs Jahren äußerten die Eltern den Wunsch nach einem größeren Festakt. Diana S., Lehrerin an dieser Schule, möchte lieber nicht namentlich genannt werden, denn sie sieht das kritisch: "Die Einschulung ist für Kinder schon aufregend genug, das muss man nicht noch überdramatisieren."

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Doch die Eltern wollten mehr: Alles sollte feierlicher werden, pompöser, unvergessen eben. Schließlich, so ihr Argument, feierten die anderen Schulen ja auch größer. Seitdem gibt es ein Programm mit Musik, eine feierliche Rede und kleine Einlagen der älteren Schüler, die jedes Jahr aufwendig geplant werden. Neben dem Fest werde auch die Ausstattung wichtiger: "Brotdose, Turnbeutel, Ranzen, alles ist perfekt aufeinander abgestimmt," sagt Diana S.

Lehrer Marek Breuning, der auch am Institut für Grundschulpädagogik in Koblenz tätig ist, gibt aber Entwarnung: "Wir sprechen hier über ein urbanes Rand-Phänomen, das erlebe ich an meiner Schule nicht. Die große Mehrheit der Familien begeht den Einschulungstag in ganz normalem Rahmen." Auch den oft beschworenen Schultüten-Wahn gebe es dort nicht. Und das, obwohl immerhin 69 Prozent der Eltern im Schultüten-Vergleich 2016 angaben, dass es ihnen unangenehm wäre, wenn der eigene Nachwuchs die kleinste Schultüte von allen hätte.

Im Restaurant gibt es ein "Abc-Schützen-Buffet"

Dass dieses Wetteifern nicht neu ist, zeigen auch Erich Kästners Erinnerungen an seinen eigenen ersten Schultag 1905 in Dresden. Die Eltern "verglichen die Tütengrößen und waren, je nachdem, neidisch oder stolz". In Ostdeutschland hat die große Feier zum Schulbeginn ohnehin bis heute Tradition, 25 Prozent aller Einschulungen werden hier mit mehr als zwanzig Gästen gefeiert. Und so liegen auch die Ausgaben für die Schultüte samt Inhalt in Thüringen mit knapp 80 Euro bundesweit am höchsten. Ehrensache, in Jena wurde die Zuckertüte schließlich im 19. Jahrhundert erfunden.

Diese Feierlaune inspirierte auch Katja Kröger, Geschäftsführerin des Restaurants Alster Au in Hamburg, zum jährlichen "Abc-Schützen-Buffet" am Tag der Einschulung. Das Angebot komme gut an: Pro Jahr feiern rund 15 Familien mit je knapp zehn Personen im Alster Au den Schulnachwuchs, die ersten Reservierungen gäbe es bereits im Januar. Am Kinderbuffet wird dann Buchstabensuppe und Pommes frites auf buntem Geschirr serviert, ein Schminkstand und ein Eiswagen sorgen zusätzlich für leuchtende Erstklässler-Augen. Für Katja Kröger ist klar, weshalb die Einschulung immer mehr an Bedeutung gewinnt: "Kinder werden heute seltener getauft und konfirmiert. Da ist die Einschulung der perfekte Ersatz für ein Fest, an dem die ganze Familie zusammenkommt, um die Kleinen zu feiern."

Das Dilemma zwischen Kommerzialisierung von Kindheit und der Bedeutung von Bildung zeigt sich bei der Einschulung also besonders deutlich. Für die Bekannte, die schon im Mai zur Einschulung der Tochter gebeten hat, steht trotz großer Feier zumindest eins bereits fest: Ein Smartphone kommt nicht in die Tüte.

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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