Tatsächlich gibt es viele Möglichkeiten, sich der Sprengelschule zu entziehen. Wer mit seinem Gastschulantrag nicht durchkommt, etwa weil die gewünschte Schule keine Kapazitäten mehr hat, kann dagegen Widerspruch einlegen. "Meistens klappt das", sagt der Berliner Rechtsanwalt Olaf Werner, der sich auf Schulrecht spezialisiert hat. Er prüft dann, ob die zuständige Behörde Fehler gemacht hat bei der Vergabe der Plätze und streitet über einzelne Aufnahme-Entscheidungen.
Ein guter Ansatzpunkt seien auch Scheinanmeldungen. "Ein großes Thema", sagt Werner, "es gibt bestimmte Schulen, da ahnt man, dass wahrscheinlich zwanzig Prozent Scheinanmelder dabei sind". Scheinanmelder, damit meint er Eltern, die sich unter einer anderen Adresse im Einzugsbereich der Wunschschule angemeldet haben, aber dort in Wirklichkeit gar nicht wohnen. Seinen Klienten rät Werner dringend davon ab. "Nicht, weil das grundsätzlich erfolglos wäre. Aber die Gefahr besteht, dass das auffliegt." Nicht zuletzt durch Anwälte wie ihn, die in den Akten gezielt nach solchen schwarzen Schafen suchen.
Wenn es nach Kirsten Hinkler ginge, könnte sich jede Familie ihre Schule frei aussuchen. Die Künstlerin wohnt mit ihrem Partner und zwei Söhnen in Berlin-Schöneberg. Als 2013 ihr älterer Sohn in die erste Klasse kommen sollte, wurde er einer Schule mit beinahe 70 Prozent Kindern nichtdeutscher Herkunft zugewiesen. "Keiner in unserer Kita wollte da hin, alle sagten, es sei schrecklich dort", erzählt sie. Daraufhin habe sie angefragt, ob sie im Unterricht hospitieren könne - erfolglos. "Bei der Anmeldung füllten dann fast alle Gastschulanträge aus, darauf hat die Schulsekretärin extrem pampig reagiert." Überhaupt habe sie das ganze Prozedere der An- und Ummeldung als "unerfreulich" empfunden: "Es dauerte Monate, bis klar war, auf welche Schule mein Sohn kommen würde. Für ihn war diese Unsicherheit schlimm."
Ausgewählt hat sie dann schließlich eine private Montessorischule. "Kinder sollen dort nicht die Erwartungshaltung von Lehrern erfüllen, sondern die Lehrer die der Kinder. Diese Einstellung hat mich überzeugt", sagt Kirsten Hinkler. Dass die Schule weit draußen am Wannsee lag, wo der Sohn jeden Tag hingebracht und abgeholt werden musste, störte sie nicht: "Wir hatten ganz schnell Fahrgemeinschaften, das war kein Ding." Inzwischen ist er auf eine Freie Schule gewechselt, von deren Konzept sie ebenfalls begeistert ist. Dabei wäre ihr eine staatliche Schule eigentlich lieber gewesen, schon aus finanziellen Gründen. Aber: "Wenn man so wie ich an eine bestimmte pädagogische Richtung glaubt, hat man gar nicht die Möglichkeit, auf eine Regelschule zu gehen."
Anwälte einschalten, sich illegal woanders anmelden, den Sohn auf eine Privatschule schicken: Für Markus Fiedler* kam das alles nicht infrage. "Keine der Optionen war mir sympathisch." Der Ingenieur wohnte mit seiner Frau jahrelang in Berlin-Mitte, allerdings am äußersten Rand, einer "zugigen Gegend", wie er es nennt. Als die Einschulung des Sohnes bevorstand, wurde klar: Die Schulen in der Nähe waren überfüllt, aus diesem Grund schickte der Bezirk die Kinder auch in weiter entfernte Schulen im Wedding. "Die Qualitätsunterschiede sind enorm", sagt Markus Fiedler, "selbst unseren Bekannten, die aus Einwandererfamilien stammen, war es dort zu krass." Aus Sorge um ihren Sohn, den sie als zu schüchtern für ein womöglich raues Schulklima empfanden, wählten die Fiedlers die vierte Option: Sie zogen ein paar Hundert Meter weiter, in den Prenzlauer Berg um und damit in einen anderen Schulbezirk. "Das hat ein Heidengeld gekostet, und wir haben uns, was die Wohnung angeht, deutlich verschlechtert", gibt Markus Fiedler zu. "Aber wir wollten nicht Vorreiter eines sozialen Projektes sein."