Fachhochschulen:Die Kleinen, ganz groß

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Recht bunt: Erweiterungsbau der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in München. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Fachhochschulen wollten immer irgendwie sein wie Unis, mit dem Hinterherhecheln aber scheint nun Schluss zu sein. Rektoren bewerben ihr größtes Plus: Bachelor-Absolventen, die fit für den Beruf sind.

Von Johann Osel

Es ist ein Knall, trotz Schallschutzkopfhörer auf Chinaböller-Niveau, der bei Ottmar Beierl und Philipp Dehn Zufriedenheit auslöst. Zuvor sind eine Million Volt durch ein Konstrukt aus Spangen, Kugeln und Spiralen geflossen, das nach Science-Fiction-Film aussieht - und durch einen Abschnitt mit Blitzableiter. Der Knall zeigt, dass der Strom erfolgreich durchgejagt wurde und der Blitzableiter funktioniert. Es ist das Hochspannungslabor von Ottmar Beierl, Professor für Elektrotechnik an der Technischen Hochschule in Nürnberg; es ist in gewisser Weise aber auch die Anlage von Philipp Dehn, Geschäftsführer der Firma gleichen Namens, die Produkte für Blitzschutz herstellt. Die beiden Männer sind ein Team.

Hochschule und Mittelstand forschen in Nürnberg gemeinsam, Studenten schreiben Abschlussarbeiten bei Unternehmen wie Dehn, Fälle aus der Branche lehrt Beierl in Vorlesungen. Ziel: Nachwuchs für die Wirtschaft in der Region ausbilden. Der lebende Beweis dafür drückt beim Stromversuch den Knopf: Claudia Rother, Nürnberger Absolventin, nun bei Dehn. In der Funktion kommt sie häufig zurück an ihre Fachhochschule - für Versuche, auch das sehen die Kooperationsverträge vor.

"Wir müssen endlich die Rolle der Verfolger der Universitäten loswerden."

Ein enges Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaft. Zu eng? Jedenfalls verkaufen die kleinen Schwestern der Universitäten dieses Prinzip offensiver denn je. Kürzlich gründete sich eine "Hochschulallianz für den Mittelstand", Standorte von Konstanz bis Bremerhaven sind dabei, auch Nürnberg. Leitbild: Hochschulen und Mittelstand Seit an Seit. Hans-Hennig von Grünberg konkretisiert das, Chef der Hochschule Niederrhein mit Sitz in Krefeld und Mönchengladbach und Vorsitzender der Allianz. "Das Bild eines Studiums, das vor allem in die Wissenschaft einführt - das war vor Jahrzehnten das einzig gültige Modell, als Studieren noch eine exklusive Veranstaltung war. Es kann aber nicht das Maß aller Dinge sein, wenn es darum geht, 2,7 Millionen Studierende auf ein Arbeitsleben vorzubereiten." Mehr Berufsorientierung habe die Bologna-Reform mit ihren Abschlüssen Bachelor und Master versprochen. Und die FHs lösten das ein. So entstünde auch eine eigene Identität: "Wir müssen endlich die Rolle der Verfolger der Universitäten loswerden." Mit der "originellen Bildungsidee der Fachhochschulen" wolle man "nicht mehr als Beiwerk" der Unis gesehen werden.

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SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quellen: Statistisches Bundesamt, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

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SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quellen: Statistisches Bundesamt, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

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SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quellen: Statistisches Bundesamt, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Gut ein Drittel aller Studenten lernen heute nicht mehr an einer Uni, sondern an einer FH - teils heißen sie auch Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Es gab stets einen Kampf zwischen Großen und Kleinen. Fachhochschulen wollten irgendwie sein wie Universitäten, um zum Beispiel selbst Doktoranden ausbilden zu dürfen (wobei ihnen einige Länder entgegenkommen). Das hatte Züge eines Grabenkriegs. In derlei Rhetorik bleibt Grünberg, wenn er sagt, das Promotionsrecht sei eher ein "Nebenkriegsschauplatz". Ihm geht es um das Selbstverständnis - eben nicht mehr hinter den Unis herzuhecheln.

In Nürnberg kooperiert die Hochschule mit vielen Firmen, nicht nur im Technikbereich. BWL-Studenten erstellten etwa ein Werbekonzept für eine Brauerei, der Marketingleiter dort ist Absolvent. Auch bei Dehn entstand der Kontakt über Personen. Beierl hatte beim Mittelständler ein Semester lang gearbeitet, Hochschule und Firma teilen sich sogar ein Patent. "Ein Konzern baut sich bei Bedarf ein Labor für 20 Millionen Euro, das ist im Mittelstand anders", sagt Geschäftsführer Dehn. "Jedes Unternehmen ist an klugen Köpfen interessiert." Auch Großunternehmen übrigens, er könne aber Bewerbern die Perspektive bieten, schnell Verantwortung zu übernehmen.

Laut Studien bleiben FH-Absolventen ihrer Region tatsächlich eher treu als Uni-Akademiker. Und angewandt Studierende wollen nach dem Bachelor oft gleich in den Beruf. "Auch gute Technische Unis achten auf Praxis. Sie sind aber meist doch auf ein Studium bis zum Master ausgelegt", sagt Beierl. "Wir haben den Anspruch, einen Bachelor zu produzieren, der draußen seinen Mann oder seine Frau stehen kann."

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Die Dauerdebatte um den Sechs-Semester-Abschluss Bachelor bestärkt die Mittelstandshochschulen. Die Minister der 47 Bologna-Staaten hatten sich im Mai bei einer Tagung der Tauglichkeit des Kurz-Abschlusses gewidmet - und in Aussicht gestellt, dass Bachelor-Abgänger "beschäftigungsfähig" werden. Dazu sei mehr Kooperation mit der Wirtschaft nötig, praxisnahes Studieren. Kurz zuvor war durch eine Schelte des Deutschen Industrie- und Handelskammertags die Diskussion neu entflammt: Nur 47 Prozent der Betriebe sind demnach mit den Bachelor-Berufsanfängern zufrieden. Hochschulen müssten Bewerber für den Arbeitsmarkt rüsten. Und: eben auf die Firmen zugehen.

Machen wir, sagt Rektor von Grünberg und zählt auf, wie seine Allianz Bologna interpretiert: Projekte, Praxissemester, Dozenten mit Berufserfahrung, anwendungsnahe Abschlussarbeiten, Praktiker in Beiräten von Studiengängen. "Nicht am Bedarf vorbei auszubilden, das ist unsere große Stärke." Oft müssten Absolventen nicht mal Bewerbungen schreiben, sie würden sofort eingestellt. Klingt selbstbewusst.

Es gibt Daten, die das untermauern. Die Quote der Studienabbrecher ist an FHs niedriger als an Unis - nur 23 Prozent der Bachelor-Anfänger geben auf, an Unis jeder dritte. Eine Mehrheit der praxisnahen Studenten meint, dass sie mit Bachelor fit für den Job sind - dementsprechend wollen weniger noch einen Master danach machen. Aber: FH-Studenten geben im Vergleich zu Uni-Kollegen seltener an, dass diese Eigenschaften im Studium gefördert werden: wissenschaftliche Methoden, Selbständigkeit, kritisches Denken. Man kann wohl von Verschulung sprechen oder von Einengung. Die IG Metall hat mal gewarnt: Wenn Firmen konkrete Projekte in die Hochschulen trügen, bestehe auch die Gefahr, dass am Ende kein allgemein brauchbarer Absolvent stehe - sondern ein Experte nur für ein bestimmtes Produkt.

Das hatte Holger Burckhart wohl im Kopf, als er die Bologna-Tagung bewertete. Er ist Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz. "Den alten Elfenbeinturm gibt es heute praktisch nicht mehr. Aber langsam gehen wir an eine Grenze, an der man sich fragen muss: Wie frei ist die Lehre?", sagte er. Austausch mit der Wirtschaft und Praxisbezug seien sinnvoll; "doch die Hochschule muss sich eine kritische Distanz zu Begehrlichkeiten der Industrie bewahren". Denn: "Marktanpassung ist nicht das Ziel." Es gehe um Wissenschaft.

"Es sind einfach verschiedene Ansätze an Universitäten und bei uns, es geht nicht um besser und schlechter", meint der Nürnberger Professor Beierl. Die FH-Studenten kämen meist mit der Vorstellung, ein bestimmtes Fach zu studieren und schnell einen vernünftigen Job zu ergattern. "Sie suchen im Grunde eine Berufsausbildung Plus, also mit wissenschaftlichem Fundament." Da sei sicher mancher dabei, der an einer anspruchsvollen Technischen Universität die ersten Semester nicht überlebe; und es kämen viele Berufserfahrene. Untersuchungen zeigen, dass Bildungsaufsteiger - also Studenten, deren Eltern keine Akademiker sind - Fachhochschulen bevorzugen. Darunter auch Leute, die zuvor eine Ausbildung gemacht haben. Wie Claudia Rother, die Dehn-Mitarbeiterin im Labor. Nach Realschule und Installateurslehre dachte die heute 33-Jährige: "Das kann nicht alles sein." Es folgten Fachabitur, Studium - und gleich die Karriere.

Eine akademische Ausbildung für mehr als die Hälfte eines Jahrgangs, der Auftrag durch Bologna - das werde "die Hochschullandschaft nachhaltig ändern", glaubt Grünberg: Es werde immer weniger Studiengänge und Hochschulen geben können, die sich allein der Wissenschaft verpflichtet sehen. "Automatisch" würden so mehr und mehr Studienplätze an Fachhochschulen verlagert werden. Das freilich dürfte den Universitäten kaum behagen.

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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