Deutsche Studenten an österreichischen Unis:Großer Grenzverkehr

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Auslandsstudium light: Viele Deutsche studieren an den österreichischen Hochschulen. Besonders in beliebten Fächern wie Zahnheilkunde, Medizin oder Psychologie, die in Deutschland mit einem hohem Numerus clausus belegt sind, ist die Nachfrage hoch. Doch die Studentenschwemme gefällt nicht jedem.

Nicole Grün

Manchmal müssen Österreicher das Gefühl haben, im eigenen Land in der Unterzahl zu sein. Das gilt für ihre Autobahnen und Skipisten - und längst auch für einige ihrer Universitäten. Als Sarah Kastner aus Bad Wörishofen den Aufnahmetest für einen Studienplatz an der Medizinischen Universität Innsbruck absolvierte, war die Übermacht der Deutschen erdrückend: Von 4000 Bewerbern kamen 2200 aus der Bundesrepublik Deutschland.

Es sind nicht mehr nur die klassischen Unis, die Medizinstudenten anziehen. Viele gehen über die Grenze nach Süden - und studieren in Österreich. (Foto: dapd)

Immer mehr Deutsche entscheiden sich für ein Studium im Nachbarland. Waren nach Angaben des österreichischen Ministeriums für Wissenschaft und Forschung vor zehn Jahren nur etwa 6000 Bundesbürger an österreichischen Hochschulen eingeschrieben, so waren es im vergangenen Wintersemester mit 29.635 Personen fast fünf Mal so viele. Damit sind neun Prozent aller Studenten in Österreich Deutsche.

Sarah Kastner ist eine von ihnen. Den Numerus clausus, der für ein Medizinstudium im vergangenen Jahr in den meisten deutschen Bundesländern bei 1,0 lag, hat die 21-Jährige mit ihrem Schnitt von 1,9 klar verfehlt. "Aber wenn jemand ein Eins-Komma-Null-Abi hat, heißt das noch lange nicht, dass er sich für ein Medizinstudium eignet", kritisiert sie das deutsche Zulassungsverfahren. Im Nachbarland gehe es dagegen um die Frage, ob man mathematisch gut sei, etwas von Physik verstehe und wirklich das Zeug für den Studiengang habe.

Kastner schaffte die Eignungsprüfung, und sie nahm auch die Hürde der Ausländerquote: Um einen Ärztemangel im eigenen Land zu verhindern, wurde in Österreich die Zahl von Medizinstudenten aus dem EU-Ausland auf 20 Prozent begrenzt. Fünf Prozent dürfen aus dem Nicht-EU-Ausland kommen. Im zweiten Semester angelangt, ist Kastner rückblickend froh, nicht an einer deutschen Universität gelandet zu sein: "Eine Freundin studiert in München Medizin - drei Viertel ihres Kurses haben wegen des Drucks nach einem Jahr einen Psychiater gebraucht. Den brauche ich nicht, der Studienplan in Innsbruck ist viel besser."

Seit Jahren steigt die Zahl deutscher Schulabgänger, die sich fern der Heimat ihrem Studium widmen. Waren es vor zehn Jahren laut Statistischem Bundesamt noch knapp 59.000, so verdoppelte sich die Zahl bis zum Jahr 2009 nahezu auf 115.000. Das liegt nicht zuletzt an der Angst, in Deutschland keinen geeigneten Studienplatz zu bekommen. Das Angebot ist knapp, schon jetzt sind viele Studienfächer so überlaufen, dass nur die besten Einser-Abiturienten zugelassen werden. Doch haben sich die Abiturienten erst einmal ein Wunschstudium in den Kopf gesetzt, halten sie auch nationale Grenzen nicht davor ab, es zu verwirklichen.

"Da kann es schon einmal vorkommen, dass sich Schulabsolventen an 70 verschiedenen Hochschulen in ganz Europa bewerben", sagt Peter Stegelmann von der Bildungsberatung Edu-Con. Dass Österreich vor den Niederlanden die beliebteste Studiendestination der Deutschen ist, hat seiner Meinung nach mehrere Gründe. "In der Regel gibt es keinen Numerus clausus, sondern bei gefragten Fächern einen hochschulinternen Aufnahmetest, den man gut bestehen kann", sagt Stegelmann. Außerdem seien da die relativ geringen Kosten, keine Studiengebühren, die Nähe zu Deutschland und nicht zuletzt die Sprache. Auslandsstudium light also.

Gerade in beliebten Fächern wie Zahnheilkunde, Medizin oder Psychologie, die in Deutschland mit einem hohem Numerus clausus belegt sind, ist die Nachfrage hoch - besonders in grenznahen Unistädten. So sind die österreichischen Studenten des Fachs Psychologie, für das es keine Quotenregelung gibt, in Salzburg oder Innsbruck in der Minderheit: 73 beziehungsweise 70 Prozent der dortigen Studienanfänger sind Deutsche.

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Kein Wunder, dass die gefühlte Stürmung österreichischer Universitäten durch die "Piefkes" manchen Bewohnern der Alpenrepublik die Zornesröte ins Gesicht treibt. "Unser Geld für unsere Studenten", stand auf Plakaten, die Sarah Kastner an der Uni unangenehm ins Auge stachen. "Da fühlt man sich natürlich schlecht und fragt sich, ob man im Studium nicht ein bisschen anders behandelt wird", sagt die Medizinstudentin. Gerade in den mündlichen Prüfungen könnte an der Vermutung etwas dran sein, argwöhnt sie: "Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich Deutsche bin, aber meine Kommilitonen mei Toolboxnten, ich hätte mit Abstand die schwersten Fragen bekommen."

Seit der Abschaffung der Studiengebühren an öffentlichen Universitäten im Jahr 2009 fordern österreichische Politiker und Rektoren regelmäßig Ausgleichszahlungen für die deutsche Studentenflut. Schließlich dürfen Fachhochschulen auch weiterhin Studiengebühren in Höhe von 363 Euro im Monat verlangen. Auch wenn manche Medien und einige Politiker Front gegen die Deutschen machen, im Alltag merkt man davon kaum etwas. "Die Österreicher sind sehr freundlich zu uns", sagt Kastner - auch wenn sie zugeben muss, in Innsbruck mehr Deutsche als Österreicher zu kennen.

Deutsche Studenten in Österreich auf NC-Flüchtlinge und Bildungsasylanten zu reduzieren, greift aber zu kurz. Denn nicht alle studieren zulassungsbeschränkte Fächer: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2009 etwa 44 Prozent der deutschen Studenten in Österreich im Bereich Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eingeschrieben. Ungefähr 13 Prozent studierten Sprach- und Kulturwissenschaften oder Sport. An dritter Stelle lag Humanmedizin mit elf Prozent, dahinter die Fächergruppe Mathematik und Naturwissenschaften mit knapp zehn Prozent, gefolgt von den Ingenieuren mit neun Prozent.

Die österreichischen Universitäten genießen nicht nur wegen ihrer fehlenden Zulassungsbeschränkungen einen guten Ruf. Auch das Land hat mehr zu bieten als Kaiserschmarrn und Wiener Schnitzel. "Innsbruck ist eine tolle Stadt, die Landschaft ist wunderschön, und es kommen viele her, die gern Skifahren oder Mountainbiken", beschreibt Kastner die Vorzüge ihrer Wahlheimat.

Diese Vorzüge müssen Studenten teuer bezahlen, gilt Innsbruck doch als die Stadt mit den höchsten Mieten. Mit zehn bis elf Euro netto kalt liegt hier der Quadratmeterpreis so hoch wie in der Bundeshauptstadt Wien. Und auch in Salzburg muss man für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft etwa 300 Euro berappen. Das alles ficht Sarah Kastner nicht an. Sie hat sich gut eingelebt im Alpenland, will sich vielleicht in Richtung Sportmedizin spezialisieren. Und wenn sie doch mal das Heimweh packt, ist sie in nur zwei Stunden zu Hause.

© SZ vom 14.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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