Bildungsbericht 2014:Eine Frage der Qualität

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Immer mehr Schüler besuchen das Gymnasium. Das erhöht zumindest formal den Bildungsstand der Bevölkerung. Doch nicht alle Gruppen profitieren gleichermaßen davon. (Foto: dpa)

Insgesamt "ein Trend zu mehr Bildung", aber ungerecht verteilte Chancen - der aktuelle Bildungsbericht zeigt die Schwachstellen des deutschen Schulsystems auf.

Bildung soll eine Starthilfe fürs Leben geben, die gerechte Verteilung von Bildungschancen sollen am Ende zu einer gerechteren Gesellschaft führen. Soweit die Theorie. Doch der aktuelle Bildungsbericht zeigt, dass längst nicht alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland in gleichem Maße von den Bildungsangeboten profitieren.

Dem Bericht "Bildung in Deutschland 2014" zufolge wächst trotz einer leichten Verbesserung nach wie vor fast jedes dritte Kind in Deutschland in mindestens einer, wie die Forscher es nennen, Risikolage für schlechtere Bildungschancen auf. Zu den drei im Bericht identifizierten Risikolagen zählen: erwerbslose, armutsgefährdete oder bildungsferne Elternhäuser.

Der Bericht, den federführend das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) herausgibt, zeigt, dass Kinder von Eltern mit niedrigem Schulabschluss seltener an zusätzlichen Bildungsangeboten wie Musikkursen teilnehmen und außerdem erheblich seltener das Gymnasium besuchen. Besonders prekär ist die Bildungssituation von Personen mit Migrationshintergrund.

Ausländische Jugendliche landeten 2013 beim Zugang zur Berufsausbildung fast zur Hälfte im sogenannten Übergangssystem, das als berufsvorbereitendes Jahr den Übergang von der Schule in eine Ausbildung erleichtern soll. Von den deutschen Jugendlichen ist es dagegen nur jeder Vierte. Unter den 30- bis unter 35-Jährigen haben Personen mit Migrationshintergrund fünf Mal so häufig keinen allgemeinbildenden Abschluss. Im Gesamtdurchschnitt aber sinkt der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss auf 5,9 Prozent.

Kita und Ganztag: "Trend zu mehr Bildung"

Insgesamt lasse sich in Deutschland "ein Trend zu mehr Bildung" feststellen, so Marcus Hasselhorn vom DIPF. Als ein Beispiel dafür nennt der Bericht die Tendenz, dass unter Dreijährige häufiger Angebote der Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen und damit früh an das Bildungssystem herangeführt werden. Der Anteil der Kita-Betreuung bei den Einjährigen stieg zuletzt im Osten auf knapp 62 Prozent, im Westen auf 23 Prozent.

Außerdem ein zunächst positiver Trend aus Sicht der Autoren: Mehr als die Hälfte der Schulen in Deutschland macht inzwischen Ganztagsangebote. Doch der Bericht kritisiert, dass Kita und Ganztagesschulen vor allem quantitativ und nicht qualitativ ausgebaut würden. Das gegenwärtig vorherrschende offene Ganztagsmodell, bei dem der Nachmittagsunterricht freiwillig ist, schöpfe das Potenzial dieser Schulform nicht aus.

Obwohl die Angebote ausgeweitet wurden, ist das Interesse der Schüler und Eltern an den Ganztagsangeboten nach wie vor gering: Nur ein Drittel der Schülerinnen und Schüler nimmt sie in Anspruch.

Bei den Gymnasien verzeichnet die Studie weiterhin großen Zustrom, was sich auch in steigenden Abiturientenzahlen niederschlägt: Dem Bericht zufolge erwerben immer mehr Schüler eine Hochschulzugangsberechtigung, aktuell sind es 57 Prozent der Schulabsolventen. Damit erhöht sich auch der formale Bildungsstand der Bevölkerung und der Trend zu höheren Abschlüssen an allen Schularten setzt sich fort. Der Anteil der Personen mit Hochschulreife fällt bei den 30- bis unter 35-Jährigen mit 43 Prozent etwa doppelt so hoch aus wie bei den 60- bis unter 65-Jährigen (22 Prozent).

Die Folge: Erstmalig gibt es genauso viele Studienanfänger an Hochschulen wie Anfänger in der Dualen Berufsausbildung bei Berufsschulen und Betrieben. Ein Grund dafür liegt auch in der seit Längerem rückläufigen Zahl der Zugänge zur dualen Berufsausbildung, während die Zahl der Studienanfänger in den vergangenen 13 Jahren kontinuierlich auf mehr als 500.000 Personen angestiegen ist.

Von den Bachelor-Studenten bricht nach wie vor mehr als ein Viertel ihr Studium ab. Besonders hoch war die Abbruchquote in den vergangenen Jahren in den sogenannten MINT-Fächern Mathematik, Informatik,Naturwissenschaft und Technik. Obwohl die Quote laut aktuellen Bildungsbericht leicht zurückgeht, liegt sie noch immer über dem Durchschnitt. Im Masterstudium bricht dagegen nur noch knapp ein Zehntel das Studium ab.

Inklusion: Personal nicht immer qualifiziert

Der Bericht wirft in einem Schwerpunktkapitel außerdem ein Schlaglicht auf die Situation der Inklusion behinderter Menschen an deutschen Schulen. Hier zeigen sich vor allem beim Personal weitreichende Mängel: Der Studie zufolge ist das Personal, das Menschen mit Behinderungen unterrichten und fördern soll, nicht immer fachlich qualifiziert. Am besten qualifiziert sind demnach Mitarbeiter in Kindertagesstätten, die auf behinderte Kinder spezialisiert sind. An Förderschulen dagegen verfügt ein Drittel des Personals nicht über einen entsprechenden sonderpädagogischen Lehramtsabschluss.

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Bei den Zielen der Inklusion gibt es dagegen erste Fortschritte: Immer mehr Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen besuchen gemeinsam Kindertageseinrichtungen und Schulen. Der Anteil nimmt aber mit zunehmendem Alter deutlich ab: Während in der Grundschule etwa 44 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam mit Kindern ohne Förderbedarf unterrichtet werden, sind es im Sekundarbereich I (Klasse fünf bis neuen beziehungsweise zehn) nur noch ungefähr 23 Prozent.

Sonderpädagogischer Förderbedarf wurde bei etwa 493.000 Schülerinnen und Schülern festgestellt, damit steigt der Anteil auf 6,6 Prozent der Schüler.

Finanzen: Anteil der Bildungsausgaben sinkt

Finanziell gibt es im Bildungsbereich noch Spielraum, so die Studie. Trotz höherer Bildungsausgaben der öffentlichen Gesamthaushalte im Jahr 2012 ist der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) leicht rückläufig: Die Gesamtausgaben für Bildung, Forschung und Wissenschaft beliefen sich 2012 auf insgesamt 247,4 Milliarden Euro bzw. 9,3% des BIP. Das Ziel, die Ausgaben bis zum Jahr 2015 auf 10% des BIP zu steigern, wurde somit bisher nicht erreicht.

Der an diesem Freitag in Berlin vorgestellte Bericht "Bildung in Deutschland 2014" versteht sich als empirische Bestandsaufnahme des deutschen Bildungswesens. Die Mitglieder der Autorengruppe vertreten folgende Einrichtungen: Das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), das Deutsche Jugendinstitut (DJI), das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI) sowie Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Destatis und StLÄ). Die Erarbeitung des Berichts wird von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

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