Corona:Aufholprogramm an Schulen enttäuscht: Geld bleibt liegen

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Ein Schüler meldet sich, während die Lehrerin an die Tafel schreibt. (Foto: Marijan Murat/dpa/Symbolbild)

Schulschließungen, Unterricht nur digital oder per Arbeitsauftrag zu Hause: Ein Bundesprogramm sollte durch die Corona-Pandemie entstandende Lernrückstände bei Kindern und Jugendlichen abbauen. Doch in Thüringen bleiben wohl große Teile der Mittel ungenutzt.

Von Stefan Hantzschmann, dpa

Erfurt (dpa/th) - Ein milliardenschweres Aufholprogramm des Bundes sollte Schülern helfen, Lernrückstände aus der Corona-Pandemie zu überwinden. Doch der Geldsegen kann in Thüringen bei Weitem nicht ausgeschöpft werden, wie aus Zahlen des Thüringer Bildungsministeriums hervorgeht, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen.

Demnach hätte das Land rund 53 Millionen Euro für das Aufholprogramm einsetzen können - die Hälfte des Geldes wäre vom Bund gekommen, rund 26,5 Millionen Euro hätte der Freistaat beisteuern müssen. Nach einer Prognose des Ministeriums dürften bis Ende des Schuljahres aber nur rund 13,22 Millionen Euro für das Programm eingesetzt werden.

Ein Ministeriumssprecher sagte, die Laufzeit des Programms sei für eine volle Entfaltung zu kurz gewesen. Die genauen Gründe für den geringen Mittelabfluss würden derzeit noch analysiert. „In Thüringen haben sowohl die kurzen Vorbereitungs- und Durchführungszeiten wie auch die globale Minderausgabe 2022 dazu beigetragen“, so der Sprecher. Auch die Pandemie an sich habe eine Rolle gespielt.

Eine globale Minderausgabe sind nicht näher bezifferte Sparvorgaben. In den Verhandlungen zum Haushalt für das Jahr 2022 hatte die CDU darauf bestanden - ohne jedoch vorzugeben, wo gespart werden soll.

Bei Bildungsverbänden und Elternvertretern fällt die Bilanz zum Aufholprogramm nüchtern bis kritisch aus. „Der große Wurf war es auf keinen Fall“, sagte Landeselternsprecherin Claudia Koch auf Anfrage. Aber es sei gut gewesen, dass es überhaupt ein Programm gegeben habe. Einige Schulen hätten profitiert, in dem sie etwa Klassenfahrten oder Exkursionen organisiert hätten. „Wir haben nicht viel Personal. Es war eine Utopie zu sagen, alles was während der Corona-Pandemie nicht vermittelt wurde, durch so ein Aufholprogramm auffangen zu wollen“, sagte Koch.

Das rund zwei Milliarden Euro schwere Bundesprogramm lief bereits Ende vergangenen Jahres aus. Es war noch von der Vorgänger-Bundesregierung unter der damaligen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) auf den Weg gebracht worden. Umgesetzt wurde es in Thüringen mit dem Landesprogramm „Stärken – unterstützen – abholen“, das im Schuljahr 2021/2022 an den Start ging und noch bis zum 31. Juli läuft.

Finanziert wurden bisher unter anderem „bildungsunterstützende Ferienkurse“, Aufenthalte in Schullandheimen „speziell für Klassen mit besonders langem Ausschluss vom Präsenzunterricht“, wie der Sprecher des Bildungsministeriums erläuterte. Außerdem wurden Sportangebote gefördert, eine Aufstockung der Jugend- und Schulsozialarbeit, Bildungscamps oder auch Unterstützungsleistungen des Schulpsychologischen Dienstes der Staatlichen Schulämter.

„Die Schulen können auf die Unterstützung von Kooperationspartnern zurückgreifen oder unterrichtsbegleitende Einzelmaßnahmen in eigener Verantwortung für Ihre Schülerinnen und Schüler organisieren“, so der Ministeriumssprecher.

Nach Ansicht des Thüringer Lehrerverbands (tlv) war das Programm „gut gemeint“, scheiterte aber an der Personalnot. „Sowohl der Bund als auch das Land Thüringen haben sich bei dem Programm viel zu sehr auf die Schulen und das dortige Personal gestützt - wohl wissend, dass da eigentlich nichts mehr geht“, erklärte Tim Reukauf, Mitglied der erweiterten Landesleitung des tlv.

Aus dem Topf wurde auch freiwillige bezahlte Mehrarbeit von Lehrerinnen und Lehrer bezahlt. Nach Zahlen des Ministeriums leisteten Thüringer Lehrkräfte bis Ende des vergangenen Jahres rund 4300 Stunden, bei den sonderpädagogischen Fachkräften waren es 680 Stunden. „Heruntergebrochen auf die Anzahl der Schulen – etwa 800 staatliche sind es in Thüringen - sind das weniger als 8 Stunden pro Schule“, rechnet der Lehrerverband vor.

Pro Lehrer - selbst, wenn man fünf Prozent Langzeiterkrankte abzieht - habe demnach jede Lehrkraft weniger als 0,4 Stunden bezahlte Mehrarbeit für das Aufholprogramm geleistet, so der tlv. „Das ist nicht viel. Aus unserer Sicht ist das Ergebnis jedoch nicht überraschend. Die Leute hier arbeiten seit Jahren am Limit“, erklärte Tim Reukauf, Mitglied der erweiterten Landesleitung des tlv.

Die Corona-Pandemie habe dem System Schule, „das aus personeller Sicht ohnehin schon kurz vor dem Kollaps stand, den Rest gegeben. Entlastungen für die Lehrer an den Schulen habe es durch das Programm keine gegeben.

Katrin Vitzhum, Thüringer Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, sagte, für die Schulen sei der Verwaltungsaufwand vor allem am Anfang des Programms groß gewesen. Man müsse davon ausgehen, dass es etliche Schülerinnen und Schüler gibt, die Lernrückstände noch nicht aufholen konnten. „Die Verstetigung von so einem Nachholprogramm wäre durchaus sinnvoll, aber viel besser wäre es, wenn wir in die Schulen tatsächlich das Personal bekämen, das wir bräuchten, um regulären Unterricht zu machen und individuelle Förderung“, sagte Vitzthum.

© dpa-infocom, dpa:230427-99-465574/3

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