Schule:Fertig machen zum Diktat

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Unterricht in einer Schule in Stuttgart. Baden-Württembergs CDU will den Leistungsanspruch generell steigern. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

In mehreren Studien schwächelten Schüler aus Baden-Württemberg zuletzt. Sie sollen nun mehr lernen. Aber wie, ist selbst unter Konservativen umstritten.

Von Josef Kelnberger

Nein, sagt Andreas Stoch, er spüre keinen Phantomschmerz. Es dränge ihn nicht jeden Morgen zurück in die Rolle des Kultusministers von Baden-Württemberg. Er hat den Job mit Leidenschaft erledigt und hätte ihn auch gern behalten, aber andererseits: keine Woche unter 85 Arbeitsstunden, jeden Tag aufwachen in Erwartung neuer Attacken, jeden Tag tief durchatmen vor dem Blick in den Pressespiegel. "Ein Leben auf der heißen Herdplatte" sei das gewesen zwischen Januar 2013 und Mai 2016, sagt Stoch.

Auf der Herdplatte im vormaligen Büro von Andreas Stoch, SPD, arbeitet seit der Landtagswahl 2016 die CDU-Politikerin Susanne Eisenmann, und so viel steht fest: Die Hitze ist um kein Grad gesunken. In mehreren Vergleichsstudien sind die Schüler aus Baden-Württemberg abgestürzt - ein Schock für das Musterländle. Die Mängel der Kinder in Lesen, Schreiben, Rechnen gefährden auf lange Sicht den Wohlstand im Südwesten. Bildung ist deshalb das alles überragende Thema der Landespolitik. Zu Beginn des Jahres 2018 herrscht eine Aufregung, als stünde bereits jetzt, und nicht erst in drei Jahren, die nächste Wahl an. Die Parteien überbieten sich gegenseitig mit Konzepten, von denen manche in eine digitale Zukunft weisen - und andere zurück in die Fünfzigerjahre.

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Eisenmann, zuvor Stuttgarter Schulbürgermeisterin, wird zu den fortschrittlichen Kräften der CDU gezählt. Sie hat nach dem Wechsel von Grün-Rot zu Grün-Schwarz einen unideologischen Kurs ausgerufen, will für mehr Qualität und Leistung in der Bildung sorgen. Nun aber steht sie unter Druck aus konservativen Kreisen ihrer Partei. Die Forderungen: standardisierte Leistungstests, verpflichtendes Schönschreiben, verpflichtende Diktate, ja sogar die Rückkehr zum Frontalunterricht. Es müsse Schluss sein mit dem "Laisser-faire", sagt der CDU-Generalsekretär.

Droht ein konservativer Rollback? "Die CDU, die die Grundlagen für den Verfall gelegt hat, verkauft nun die alten Konzepte als Allheilmittel", sagt Andreas Stoch, der jetzt in der Opposition die SPD-Fraktion anführt. Ihn ärgert, dass auch seine Nachfolgerin immer wieder anklingen lässt, die SPD habe mit ihren Experimenten das Bildungssystem ruiniert. "Zwei und zwei muss wieder vier sein". Solche Sätze bringen Stoch, der alles andere als ein linker Ideologe ist, auf die Palme. Vom Auftreten seiner Nachfolgerin hält er nicht viel. Ihr Stil werde von vielen als "verletzend und missachtend" empfunden, sagt er. Und er ist nicht der einzige, der findet, Eisenmann schüre das Feuer in diesen Debatten.

Die Ministerin kann jedenfalls sehr direkt sein. Man dürfe sich nicht wundern, sagte sie, dass Kinder keine Bücher lesen, solange Eltern selbst nur ins Smartphone starren. Eltern- und Lehrervertreter klagen, die Ministerin benehme sich öfter wie Rambo, etwa wenn sie den Schulversuch "Grundschule ohne Noten" beerdigt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann ruft deshalb alle Seiten auf, sich zum Wohle der Kinder zusammenzuraufen. Er hält große Stück auf Eisenmann, sagte aber auch: "Ich bin nicht der Papa meiner Minister."

Alle Beteiligten ahnen, dass sich bis zur Wahl 2021 nicht korrigieren lässt, was über Jahrzehnte schiefgelaufen ist. Baden-Württemberg hat von allen deutschen Bundesländern die höchste Zuwanderungsrate. Die CDU-geführten Regierungen haben es versäumt, unterschiedliche Startchancen der Kinder durch gezielte Förderung in Vorschulalter und Grundschule auszugleichen. Und sie haben dem Sterben der Hauptschulen auf dem Land tatenlos zugesehen.

Die grün-rote Koalition reagierte 2011, indem sie die frühkindliche Bildung stärkte und Gemeinschaftsschulen einführte. Nach anfänglichem Chaos kehrte rund um die neue Schulart etwas Ruhe ein, als Stoch das Ministeramt übernahm. Aber die Einführung kostete viel Geld, Zeit, Energie. Es entbrannten die alten ideologischen Debatten: Wollten die Grünen und die Roten Leistungsunterschiede einebnen, gar das Gymnasium abschaffen?

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Ministerin Eisenmann hat ein Ende der Strukturdebatten verkündet. Sie sieht 2018 als Jahr "grundlegender Weichenstellungen". Es gibt mehr Lernzeit für Deutsch und Mathematik an den Grundschulen. Die Methode "Schreiben nach Gehör" wurde abgeschafft, ein "Rechtschreibrahmen" für die Klassen 1 bis 10 wird entwickelt. Die Realschulen erhalten mehr Poolstunden, um die heterogene Schülerschaft intensiver fördern zu können. Das Ministerium arbeitet an einem Konzept, das die Rolle der Schulleiter stärken soll. Sie sollen mehr Geld bekommen und sich stärker auf den Schulbetrieb konzentrieren können. Vorbereitet wird die Gründung eines Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung sowie eines Instituts für Bildungsanalysen. Das Ziel: Leistung und Qualität, wissenschaftliche Objektivität statt Ideologie. Eisenmann hat sich Anregungen in Hamburg und Schleswig-Holstein geholt; das hätte noch vor einiger Zeit dem baden-württembergischen Selbstverständnis widersprochen.

In der Suche nach Auswegen aus der Bildungsmisere spielt eine Rückkehr zum G 9 kaum eine Rolle, obwohl es dazu einen Modellversuch an 44 Gymnasien gibt. Im Südwesten existiert ohnehin der neunjährige Weg zum Abitur an beruflichen Gymnasien. Diesen Weg gibt es theoretisch auch an den Gemeinschaftsschulen, doch diese Schulart ist weiter heftig umstritten. Gemeinschaftsschüler wurden in den Vergleichstests noch gar nicht geprüft.

Stoch leugnet nicht, dass manche pädagogischen Konzepte nicht richtig funktionieren. Aber CDU, FDP und AfD würden derart hartnäckig gegen die Gemeinschaftsschule trommeln, dass sich unter den Eltern Verunsicherung breitmache. Die Zugangszahlen jedenfalls sinken. Andreas Stoch sagt, er sei gespannt, wann die Grünen, die alten Partner der SPD in Sachen Bildungsgerechtigkeit, der CDU endlich Widerstand leisten.

© SZ vom 15.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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