Schule:Das kann ja keiner lesen

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Mit der Hand schreiben zu lernen, braucht Übung. Für die individuelle Betreuung hätten sie aber zu wenig Zeit, sagen Lehrer. (Foto: Frédéric Cirou/imago/PhotoAlto)
  • In einer Umfrage unter 2000 Lehrern geben 86 Prozent der Befragten an, dass sich die Handschrift ihrer Schüler verschlechtert habe.
  • Die Lehrer beobachten bei mehr als jedem dritten Grundschulkind Schwierigkeiten und bei 43 Prozent der Schüler an weiterführenden Schulen.
  • Durchgeführt hat die Umfrage der Verband Bildung und Erziehung zusammen mit dem privaten Schreibmotorik-Institut: Sie halten das Erlernen der Handschrift wie nahezu alle befragten Lehrer weiterhin für wichtig und fordern mehr Aufmerksamkeit für die Grundkompetenzen.

Von Paul Munzinger

Probleme? Anne Deimel spricht lieber von Herausforderungen, aber davon gibt es beim Thema Handschreiben aus ihrer Sicht eine ganze Menge. "Einigen Kindern fällt das Schreiben mit der Hand leicht, das war immer so und das ist auch heute noch so", sagt die 52-Jährige. Seit 15 Jahren leitet sie eine Grundschule in Arnsberg, Nordrhein-Westfalen. "Aber wir merken, dass es immer mehr Kinder gibt, denen es sehr schwer fällt." Dabei geht es nicht um Schönschrift oder Rechtschreibung, sondern um die Grundlagen: Wie halte ich den Stift, wie fest muss ich aufdrücken, wie schreibe ich fließend und unverkrampft, so dass noch Konzentration für den Inhalt übrig bleibt. "Das muss geübt werden", sagt Deimel, gerade heute. Doch dafür fehle häufig die Zeit.

Schüler können immer schlechter mit der Hand schreiben - dieser Meinung ist nicht nur Deimel, dieser Meinung ist einer Umfrage zufolge auch die überwältigende Mehrheit der Lehrer in Deutschland. Die Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) hat in Zusammenarbeit mit dem privaten Schreibmotorik-Institut mehr als 2000 Lehrer befragt; die Ergebnisse wurden am Dienstag in Berlin vorgestellt. 86 Prozent der Lehrer gaben an, die Handschrift der Schüler habe sich verschlechtert oder sogar sehr verschlechtert. Damit bestätigt sich das Ergebnis, das bereits eine vergleichbare Umfrage im Jahre 2015 ergeben hatte.

Aus Sicht der Lehrer hat mehr als jedes dritte Grundschulkind Schwierigkeiten mit der Handschrift, nach der Grundschule sind es demnach sogar 43 Prozent. Nur vier Prozent der Lehrer im Sekundarbereich sind mit der Handschrift ihrer Schüler zufrieden. Jeder zweite Junge hat nach Einschätzung der Lehrer Schwierigkeiten mit der Handschrift, bei Mädchen nur jedes dritte. Die größten Probleme aus Sicht der Lehrer darin: Die Schüler schreiben nicht leserlich oder zu langsam. Auch an Ausdauer fehle es: Nur vier von zehn Schülern seien in der Lage, eine halbe Stunde lang ohne Beschwerden zu schreiben.

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Auch zu den Gründen wurden die Lehrer befragt, wobei zwei Ursachenkomplexe am häufigsten genannt wurden: fehlende Routine und die Digitalisierung. Schulleiterin Anne Deimel, die auch stellvertretende Landesvorsitzende des VBE in Nordrhein-Westfalen ist, sagt, dass sich die Bedingungen an den Schulen, besonders an den Grundschulen, in den vergangenen Jahren stark verändert hätten. Die Klassen seien heterogener geworden, die familiären Hintergründe der Kinder immer unterschiedlicher. Gleichzeitig laste der Lehrermangel schwer auf den Schulen. Häufig bleibe kaum Zeit, auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder einzugehen - und etwa den Schwung zu üben, der für die Schreibschrift nötig sei. Die sollen die Kinder in NRW am Ende der zweiten Klasse beherrschen. Es brauche mehr Personal an den Schulen, sagt Deimel, nicht nur Lehrer, sondern etwa auch Sozialarbeiter.

Kinder sollten sich wieder mehr bewegen, glauben die Lehrer

Deimel betont aber auch, dass die Schule mit Entwicklungen konfrontiert sei, die sie nicht oder kaum beeinflussen könne. So sei es für viele Kinder heute schon vor dem Grundschulalter normal, "zu wischen und zu tippen". Körperliche Bewegung, ob fein- oder grobmotorisch, falle vielfach weg: Kneten, Spielen, Fußball. "In vielen Familien fehlt heute die Zeit, Dinge zu machen, für die die Hände gebraucht werden", sagt Deimel.

89 Prozent der befragten Lehrer sind der Meinung, dass sich die feinmotorischen Fertigkeiten der Schüler verschlechtert haben; 64 Prozent sehen diese Entwicklung auch bei den grobmotorischen Fertigkeiten. Die wachsenden Schwierigkeiten vieler Schüler mit der Handschrift sind für Deimel deshalb als Teil einer größeren Entwicklung zu sehen, die die Schulen auffangen müssten. Aber auch die Eltern seien in der Pflicht - und sei es, indem sie beim Kauf des ersten Füllers genau hinschauen, was ihre Kinder brauchen.

Nicht unbedingt überraschend: Nahezu 100 Prozent der Lehrer halten das Erlernen der Handschrift auch in digitalen Zeiten für wichtig. Stift und Papier sind aus ihrer Sicht nach wie vor die geeignetsten Schreibmedien, während das Smartphone schlecht abschneidet, besonders in der Grundschule. Aus Deimels Sicht darf es hier aber nicht um ein Entweder-oder gehen: "Digitale Medien und Schreiben mit der Hand schließen sich nicht aus", sagt sie. "Wir müssen die Schüler in beiden Bereichen stark machen."

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