Zukunftstechnologie:Digitalisierung überall

Lesezeit: 2 min

Studenten protestierten bei Söders Ankunft in der Hochschule für die Seenotrettung. (Foto: Florian Peljak)

Kongress der Staatsregierung beginnt mit Protesten

Von P. Bovermann, M. Gerl, München

David wartet im Foyer auf den Ministerpräsidenten. David, blauer Oberkörper, zwei Arme, angedeuteter Kopf ist ein Assistenzroboter, aber in diesem Fall kann er nicht helfen. Kaum steigt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) aus dem Auto, überschütten sich Studenten der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) mit Wasser, legen sich auf den Boden ihrer Uni. In Sekunden ist Söders Weg von einem Durcheinander scheinbar lebloser Körper bedeckt, manche mit Schwimmwesten, andere mit Rettungsdecken. Von einer Galerie regnen Flyer herab: "Seit Beginn 2018 starben 1492 Menschen beim Versuch, von Libyens Küste aus das Mittelmeer zu überqueren." Söder schaut, lächelt - und versucht, die Aktion zu ignorieren. Auf Umwegen schafft er es trockenen Fußes in den Saal. Andere probieren es mit demonstrativem Schulterzucken. Mei, raunt ein Mitarbeiter der Staatskanzlei: Kunstfreiheit.

Dabei sollte es am Donnerstag statt um analogen Protest doch nur ums Digitale gehen, genauer: um die digitale Zukunft Bayerns. Zum "Zukunftskongress @Bayern Digital" hatte die Staatsregierung Unternehmensbosse, Start-up-Gründer und Forscher in die HFF geladen. Die Materie ist komplex, das Ende der Reise ungewiss. Wohin die Digitalisierung steuert, weiß niemand verlässlich zu sagen; selbst Söder nicht, der sonst gern die Richtung vorgibt. Lieber zieht er in seiner Begrüßungsrede einen Vergleich zur Dampfmaschine, eine "wuchtige", laute, sichtbare Erfindung. Die Digitalisierung dagegen schleiche sich leise, fast unsichtbar in den Alltag ein. "Wir sind mittendrin, aber doch noch am Anfang." Und sein Digitalminister Georg Eisenreich souffliert: "Es gibt ja immer noch eine Reihe von Menschen, die fragen: Braucht's das?" Dabei falle die Antwort eindeutig aus. "Die Digitalisierung durchdringt alle Bereiche des Lebens."

Und das tut sie immer mehr. Die Digitalisierung der Welt ist nicht zu stoppen, allein die Menge der weltweit erhobenen Daten verdoppelt sich etwa alle zwei Jahre. Die Digitalisierung treibt die Globalisierung und umgekehrt; wer sich dem verschließt, droht international den Anschluss zu verlieren. Das will die Staatsregierung verhindern. Insgesamt rund sechs Milliarden Euro umfasst ihr Fördertopf. Behörden und Klassenzimmer sollen digitaler, Arbeitnehmer für neue IT-Prozesse geschult, Technologien wie künstliche Intelligenz oder autonomes Fahren stärker vorangetrieben werden. Neue Leuchtturmprojekte verkünden Söder und Eisenreich indes nicht. Vielmehr ist die Veranstaltung im Gesamten als Willenserklärung zu verstehen. Dieses Neuland, mit dem man sich hierzulande so lange schwer tat, soll endlich erschlossen werden. Für die bayerischen Bürger genauso wie für die Wirtschaft.

Allerdings, das wird auf dem Kongress deutlich, sind auf dem Weg dahin noch etliche Probleme zu lösen. Jedenfalls sprengen sie den Rahmen dessen, was eine Landesregierung sinnvoll leisten kann. So wirft Katharina Zweig, Professorin an der Technischen Universität Karlsruhe, die Frage auf, ob und wo Computeralgorithmen einer Regulierung durch den Menschen bedürften. Schon heute gebe es Versuche, menschliche Entscheidungen mittels Computer vorwegzunehmen. US-Gerichte etwa zögen für die Beurteilung von Straftätern Programme heran, die unter Berücksichtigung verschiedener Daten eine Rückfallwahrscheinlichkeit berechneten. "Welche Entscheidungsalgorithmen wollen wir als Gesellschaft?", fragt Zweig. Andere Probleme dagegen sind zuvorderst auf europäischer Ebene zu lösen, zum Beispiel bei der Steuergesetzgebung. Viele Internetkonzerne erwirtschafteten zwar hierzulande Gewinne, doch in Bayern bleibt davon wenig hängen. Eine EU-weit einheitliche Steuergesetzgebung könnte helfen.

Der Rückweg gerät für Söder leichter, die Studenten sind abgezogen. 20 000 Euro wollen sie für die Hilfsorganisation "Sea Eye" sammeln, damit die ein neues Schiff zur Seenotrettung kaufen kann. Nur David steht immer noch im Foyer. Söder greift nach seiner Hand, sanfter Druck, David schüttelt artig zurück. Gesteuert wird David von einem Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt per Handschuh. Hebt der Mann den Arm, tut es ihm die Maschine gleich; krümmen sich die menschlichen Finger, biegen sich brav die Metallgreifer mit. Roboter wie David, so die Vision, sollen künftig den Menschen Arbeit im Alltag abnehmen. Gerade Menschen mit Behinderung könnten davon profitieren und ein selbstbestimmtes Leben führen. Söder löst sich von der gummigepolsterten Hand. Zumindest eine Begegnung, die an diesem Tag reibungslos funktioniert.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: