Versuch einer Interpretation:Frohen Mutes trotz allen Gewölkes

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Historiker Hermann Rumschöttel bilanziert angesichts des Jubiläumsjahrs 2018 das erste Jahrhundert des Freistaats Bayern

Von Hans Kratzer, München

Im Jahr 2018 wird der Freistaat Bayern hundert Jahre alt. Dieses Jubiläum wird zweifellos in großem Umfang gewürdigt und medial ausgebreitet werden. Schon deshalb, weil es zum Selbstverständnis der Bayern gehört, sich fleißig mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Nicht umsonst zählt man sich ja zu den ältesten Staaten in Europa. Um diese 1200-jährige Historie klug zu erforschen, wurde vor 90 Jahren die Kommission für Landesgeschichte gegründet, die fest mit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften verbunden ist. Bei der Jahressitzung der Kommission am Donnerstag stand der 100. Geburtstag des Freistaats erwartungsgemäß im Fokus. Eine erste Summe an Überlegungen stellte der Historiker Hermann Rumschöttel in einem Referat vor, das er als "Versuch einer Interpretation" ankündigte.

Rumschöttel zitierte zunächst den Landeshistoriker Sigmund Riezler, der 1906 auf hundert glückliche Jahre zurückblickte und in Bayern von der Erhebung zum Königreich anno 1806 bis in die späte Prinzregentenzeit hinein eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung sah. Riezlers Lobpreis des 19. Jahrhunderts endete mit einer Prophezeiung: "Frohen Mutes dürfen wir trotz allen Gewölkes, das am Horizont dräut, in die Zukunft blicken."

Tatsächlich trägt die Ära zwischen 1806 und 1906 laut Rumschöttel einen einheitlichen Charakter, im Gegensatz zum späteren Freistaat. Vor 100 Jahren sei eine politische und soziale Hoffnung geboren und ein Verfassungsversprechen formuliert worden, deren allmähliche Erfüllung erst nach einer unvergleichlichen Katastrophe, also vor rund 70 Jahren recht eigentlich begonnen habe, sagte Rumschöttel.

Da Bayern seinen geradezu zeitlosen Charakter trotz der vielen Mutationen nie verloren habe, suchte Rumschöttel nach übergreifenden Strukturelementen und Gemeinsamkeiten der bayerischen Geschichte. Er nannte eine monarchische Komponente, auch wenn die nachrevolutionäre Bamberger Verfassung bewusst und die heutige Verfassung von 1946 ein Staatspräsidentenamt nicht kennen. Die in der Verfassung von 1946 grundgelegte starke, ja fast staatspräsidentenhafte Stellung des bayerischen Ministerpräsidenten ermöglichte monarchische Repräsentation, wie sie nicht nur von Alfons Goppel zwischen 1962 und 1978 praktiziert worden sei.

Dann nannte Rumschöttel die Verfassungstradition, 2018 soll ja auch das 200. Jubiläum der Verfassungsurkunde von 1818 begangen werden. Als dritten Aspekt mit Kontinuitätscharakter führte der Referent die starke Stellung der Regierung an, eines weit über das Kabinett hinausreichenden ministeriellen Komplexes mit einer staatskonservativ-liberalen Grundierung seit der Montgelaszeit sowie die repräsentativ-parlamentarische Komponente, deren 200-jährige Tradition man im nächsten Jahr besonders feiern werde.

Auch das Phänomen einer "bayerischen Staatspartei" mit großer Nähe zu Regierung und Regierungsapparat lasse sich schon im 19. Jahrhundert beobachten. Zu dessen Kennzeichen nach 1945 gehöre die besondere Verankerung der "Staatspartei" im vorpolitischen Raum - von den Vereinen bis zur "besseren Gesellschaft". Auch die kommunale Selbstverwaltung sei kein Kind des Freistaats. Die einschlägigen Rechtsnormen gingen weit ins 19. Jahrhundert zurück. Nicht zuletzt habe der Freistaat aus der bayerischen Geschichte den Föderalismus übernommen. Zur Signatur Bayerns in den vergangenen 200 Jahren gehörten ferner ein spezielles Staats-Kirchen-Verhältnis, das Selbstverständnis als Kulturstaat und überhaupt das Grundgefühl, etwas Besonderes zu sein.

Lang ist die Liste an Erinnerungsorten, die Rumschöttel aufzählte, aber wahrscheinlich genüge es, so sagte er, das Maximilianeum in München als den historischen Ort des Freistaats Bayern zu verstehen, den Sitz des Landtags seit Ende des Krieges. Die wichtigste Erkenntnis aus der Betrachtung der Geschichte des Freistaats Bayern ist für Rumschöttel, "dass der Rechts-, Sozial- und Kulturstaat kein historisches Wiegengeschenk ist und dass der Einbruch des Unerwarteten, der Untergang einer Welt, wie man sie bisher kannte, immer eine Möglichkeit bleibt. Wir können nichts anderes tun, als wachsam und mutig zu sein".

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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