Verfassungsschutz in Bayern:Landesamt der Ahnungslosen

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Kein anderes Bundesland leistet sich einen so großen Verfassungsschutz wie Bayern. Geholfen hat das nichts. Mit der Mordserie der Zwickauer Terrorzelle hat die Behörde ein Debakel erlebt - sie wusste angeblich von nichts. Wie groß der Schaden ist, soll nun ein Untersuchungsausschuss klären.

Tanjev Schultz und Mike Szymanski

Diese Behörde ist gesichert wie eine Festung - durch Stahlgitter, durch meterhohe Mauern, Kameras und durch Mitarbeiter an der Pforte, die hinter Panzerglas arbeiten und Besucher bitten, ihre Mobiltelefone auszuschalten und wegzuschließen. Hier reinzukommen ist schon schwierig, wenn man nicht eingeladen ist. Dass von hier aus viel nach außen dringt: unwahrscheinlich.

Neben Sexshops und Authändlern hat der bayerische Verfassungsschutz seinen Sitz in München. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Knorrstraße 139 im schroffen Münchner Norden: Sexshop, Autohändler, ein Industriepark, ein Bistro mit dem Namen "Die Schnecke" - in dieser Nachbarschaft arbeitet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Oben, im sechsten Stock, hat Burkhard Körner sein Büro. Der 47-Jährige ist seit 2008 Präsident der Behörde. Er schaut aus dem Fenster und blickt auf die Stadt. Das Sakko hat er über den Stuhl gelegt. Es gibt jetzt einiges zu erklären.

Der frühere Innenminister Günther Beckstein (CSU) hat einmal in einer launigen Minute die Job-Anforderungen an den Chef dieser Behörde so beschrieben: "Es ist gar nicht so kompliziert, sorgen Sie einfach dafür, dass hier in Bayern keine Terroranschläge passieren."

Aber genau das ist passiert: Die rechtsextreme Zwickauer Terrorzelle um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hat auch in Bayern gemordet. Fünf der zehn Taten verübten sie im Freistaat. Und Körners Behörde konnte dies nicht verhindern. Die Verfassungsschützer waren ahnungslos. Es ist ein Debakel, gerade für diese Behörde, die sich immer so viel auf ihre Arbeit eingebildet hat.

Kein anderes Bundesland leistet sich einen so großen Verfassungsschutz mit 450 Mitarbeitern und einem Etat von etwa 25 Millionen Euro, wovon allein 1,65 Millionen für "Besondere Zwecke" bereitstehen - unter anderem Honorare für V-Leute. Geholfen hat all das Geld, der große Sicherheitsapparat nicht. "Wir befinden uns durch die NSU-Morde in einer schwierigen Situation", sagt Körner. "Das Renommee, das wir uns in Bayern aufgebaut haben, hat Schaden genommen."

Wie weit, das soll nun ein Untersuchungsausschuss aufarbeiten, der an diesem Mittwoch im Landtag installiert und nach der Sommerpause seine Arbeit aufnehmen wird. Die Abgeordneten von SPD, Grünen und den Freien Wählern haben sich vorgenommen, in die Festung Verfassungsschutz einzudringen.

Der Landtag ist nach Bundestag und den Landtagen von Sachsen und Thüringen das vierte Parlament, das hinterfragt, warum die Täter so lange ungehindert morden konnten. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags haben am 24. Mai bereits zwei Beamte des Bayerischen Landesamtes ausgesagt, Körners Vorgänger Wolfgang Weber sowie der Leiter der Abteilung Inlandsextremismus, Edgar Hegler. Nach der Befragung von Hegler stellte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) frustriert fest, es habe eine "völlig unzureichende Kooperation" mit der Polizei gegeben. Darum geht's - wie kooperativ war der Verfassungsschutz? War er eine Stütze bei den Ermittlungen? Hockte er auf seinen Informationen?

Die bisherigen Erkenntnisse vor allem aus der Berliner Ausschussarbeit zeichnen das Bild einer Behörde, die Anfragen eher beamtenmäßig abgearbeitet hat, wenig Eigeninitiative ergriff und den Austausch mit anderen Landesbehörden wohl auf das Nötigste beschränkte. Die Polizei in Nürnberg, die federführend in der Mordserie ermittelte, hielt der Verfassungsschutz gut acht Monate hin, ehe er Anfang 2007 die angeforderten Daten über einschlägig bekannte Neonazis endlich herausrückte. Das Landesamt berief sich zunächst auf den Quellenschutz und auf den Datenschutz. Und die Polizei fasste offenbar nur zaghaft nach. Am Ende bekamen die Ermittler lediglich Daten aus zwei Postleitzahlbezirken von Nürnberg - in der Stadt, in der die Serie am 9. September 2000 mit dem Mord an Enver Simsek ihren Anfang nahm und die Ermittler die Täter vermuteten.

Der Verfassungsschutz hinterließ im Ausschuss den Eindruck, unwillig zu sein, wie dieser Dialog zwischen dem Ausschussvorsitzenden Edathy und Abteilungsleiter Hegler zeigte: "Die Anfrage war sehr allgemein, sehr umfassend. Daraufhin haben Sie mitgeteilt: Das geht so nicht; das muss konkretisiert werden. Und daraufhin hat der See ein halbes Jahr still geruht, ja? Zeuge Edgar Hegler: Ja."

Was ihre Eigeninitiative angeht, haben Hegler und Ex-Chef Weber behauptet, im Verfassungsschutz habe es schon vor 2006 Vermutungen gegeben, es könnten ja rechte Täter gewesen sein. "Die Morde waren bei uns im Hause wiederholt auch Thema, und ein rechtsextremis-tischer Hintergrund war nicht auszuschließen." Aber die V-Leute, die der Verfassungsschutz in der Szene hat, wussten angeblich von nichts. "Es ging zum Teil so weit, dass hier Äußerungen kamen: Rechtsextremisten haben damit nichts zu tun", erklärte Weber. Im Ausschuss schienen manche Abgeordnete zu bezweifeln, ob das Landesamt wirklich die Szene befragt hat - offenbar hat das Landesamt dazu auch schriftlich nichts an die Polizei übermittelt.

Die NSU-Mitglieder und ihr früheres Umfeld in Thüringen hatten auch gute Kontakte zur rechten Szene in Franken. Aber diese Verbindungen, die dem Landesamt bekannt waren, hat offenbar niemand in Beziehung zur Mordserie gebracht. "Wir haben da keine Initiative in Richtung Thüringen entwickelt, weil wir hier keine Notwendigkeit dahin gesehen haben", räumte Weber ein.

V-Leute die nichts wissen? Zusammenhänge, die nicht erkannt werden? Körner stellt sich vor seine Leute: "Auch in der Rückschau gibt es aus meiner Sicht bis heute keine Hinweise, die uns direkt zu den Tätern geführt hätten", sagt er in seinem Büro. "Die Nähe der rechten Szene zur Gewalt war immer bekannt. Was wir nicht erkannt haben, sind die terroristischen Strukturen", räumt er aber ein. "Ich will eine genaue Analyse. Wir müssen schauen, was können wir ändern. Nicht darauf zu reagieren wäre ein Fehler." Der Untersuchungsausschuss im Landtag werde zeigen, wo es weiteren Handlungsbedarf gibt. "Wir sind offen für die Anregungen, die uns der Ausschuss für unsere Arbeit liefern kann", sagt Körner. "Wir werden die Arbeit des Untersuchungsausschusses mit aller Kraft unterstützen."

In einem Punkt hat das Amt schon reagiert: Für die Überwachung der rechten Szene sind jetzt 20 Leute mehr zuständig. Noch mal kann es sich die Behörde nicht erlauben, blind zu sein.

© SZ vom 04.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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