NSU-Untersuchungsausschuss in Sachsen:Verschleppte Aufklärung

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Politisches Hickhack statt Zusammenarbeit: Vor Beginn der Sommerpause hat der sächsische NSU-Untersuchungsausschuss keine Ergebnisse vorzuweisen. Schuld daran sei vor allem die CDU, heißt es aus der Opposition.

Antonie Rietzschel

Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und vierzehn Banküberfälle sollen die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zwischen 1998 und 2011 in ganz Deutschland begangen haben. Nach einem mutmaßlichen Raubüberfall in Chemnitz tauchten Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos 1998 unter und lebten jahrelang unerkannt im sächsischen Zwickau. Die dortigen Sicherheitsbehörden wollen weder von den Taten noch von der Existenz des Neonazi-Trios gewusst haben.

Wie auf Bundesebene und in Thüringen soll auch in Sachsen ein Untersuchungsausschuss klären, wie es dazu kommen konnte. Doch der hat seit der ersten Sitzung am 17. April nicht einmal ansatzweise Antwort auf die drängendsten Fragen: Warum hat das Landesamt für Verfassungsschutz Hinweise ignoriert, wonach ein Rechtsextremist aus dem Umfeld der sächsischen "Blood and Honour"-Szene die drei Flüchtigen mit Waffen versorgen wollte? Erhielt Zschäpe wirklich Anrufe vom sächsischen Innenministerium, nachdem sie die Wohnung in Zwickau in Brand gesetzt hatte, wie es in Medienberichten hieß?

Dass die Aufklärung dieser Fragen in Sachsen nicht vorankommt, sei die Schuld der schwarz-gelben Koalition, finden SPD, Grüne und Linke. Alleine die Einrichtung des Untersuchungsausschusses dauerte Wochen, bisher wurde kein einziger Zeuge vernommen. "Die CDU verschleppt die Aufklärung", sagt Klaus Bartl, Linke-Politiker und stellvertretender Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag zu Süddeutsche.de.

Und auch Miro Jennerjahn von den Grünen sieht besonders seitens der sächsischen Union kein großes Interesse die Untersuchungen voranzutreiben. Die Christdemokraten würden sich vor der Enthüllung von Fehlern fürchten, die die CDU als langjährige Regierungspartei mitzuverantworten hätte, behauptet er.

Tatsächlich wollten CDU und FDP den NSU-Untersuchungsausschuss nicht. Als die Linke im November kurz nach der Entdeckung der Terrorzelle eine unabhängige Kommission nach thüringischem Vorbild forderte, erklärten CDU und FDP, dass es keinen Zweifel an der Gewissenhaftigkeit der sächsischen Polizei und des sächsischen Verfassungsschutzes gebe. Carsten Biesok, der rechtspolitische Sprecher der FDP im Sächsischen Landtag bezeichnete das Instrument Untersuchungsausschuss als "rückwärtsgewandt". Es sei irrelevant, ob man irgendwann eine Akte nicht richtig ausgewertet hätte. Der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) stellte damals lediglich fest, dass man die Kommunikation zwischen den Behörden verbessern müsse.

Als Grüne, SPD und Linke im Januar einen Antrag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ankündigten, äußerten CDU-und FDP-Politiker Bedenken. Schließlich sei dann auch die NPD, die im Sächsischen Landtag sitzt, am Ausschuss beteiligt und hätte somit Zugang zu Akten, die für ein mögliches Verbotsverfahren relevant sein könnten. Die Opposition hält das bis heute für eine Ausrede: "Die NPD kann zwar Beweisanträge stellen, bekommt dafür aber keine Mehrheit. Deswegen hat sie eigentlich gar keinen Spielraum", sagt Linken-Politiker Bartl. Er sitzt gemeinsam mit einem NPD-Abgeordneten in einem weiteren Ausschuss zum Thema Rechtsextremismus.

Streit über den Termin der ersten Sitzung

Am 7. März beschloss der Landtag die Einrichtung des NSU-Untersuchungsausschuss. FDP und CDU enthielten sich bei der Abstimmung, genauso die NPD. Die Wahl der Ausschussmitglieder wurde auf Anfang April verschoben. Der jetzige Vorsitzende des Ausschuss, der CDU-Politiker Patrick Schreiber, begründet das rückblickend damit, dass die Opposition vergessen hatte, die genaue Anzahl der Abgeordneten anzugeben, die im Ausschuss sitzen sollen. Tatsächlich sah sich die CDU außerstande, am selben Tag Kandidaten aus den eigenen Reihen zu benennen. Man müsse erst Termine koordinieren, hieß es. Ein weiterer Monat verging, bis schließlich auch die Mitglieder des Gremiums gewählt wurden.

Weitere Scherereien gab es bei der Absprache über den Termin der konstituierenden Sitzung: Die Opposition schlug in einem Antrag an den Vorsitzenden Schreiber den 16. April vor. Da es sich aus dessen Sicht nur um einen Terminvorschlag handelte, reichte er das Schreiben an den juristischen Dienst des Landtages weiter, um prüfen zu lassen, ob er an den Vorschlag gebunden ist. Dieser entschied, dass Schreiber der Forderung der Opposition nicht zwingend nachkommen muss, weswegen der Ausschussvorsitzende den 30. April als Termin festsetzte.

Die Opposition empörte sich, woraufhin Schreiber einlenkte und die Sitzung für den 17. April anberaumte. "Die CDU spielt Spielchen mit uns", sagt der Grüne Miro Jennerjahn. Patrick Schreiber hält dagegen: "Warum sollte ich das tun? Ich habe genauso ein Interesse an der Aufklärung und in meiner Funktion als Ausschussvorsitzender bin ich unabhängig", sagt er gegenüber Süddeutsche.de.

Der größte Kritikpunkt der Opposition ist, dass CDU und FDP aufgrund ihrer Mehrheit im Ausschuss die Vorgehensweise vorschreiben können. Die Opposition sprach sich dafür aus, so schnell wie möglich Zeugen zu vernehmen, etwa den Landespolizeipräsidenten Bernd Merbitz, der bereits Ende der neunziger Jahre vor Rechtsterrorismus gewarnt hatte. Doch die Regierungsparteien drängten darauf, zunächst Rechtsextremismus-Experten zu hören. Um nicht gleich mit Streitereien in die Arbeit zu starten, habe sich die Opposition schließlich gemeinsam mit CDU und FDP auf dieses Vorgehen geeinigt, sagt der Linke Bartl.

"Keine Versäumnisse" der Polizei

Eine Anhörung von Rechtsextremismus-Experten am 15. Mai geriet dann beinahe zur Farce, nachdem bis auf einen alle geladenen Sachverständigen absagten. So begründete Professor Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin sein Fernbleiben damit, dass die sächsische Regierung nie Interesse an der Verfolgung rechtsextremem Gedankenguts in Sachsen gehabt habe.

Erst Experten, dann Zeugen - diese Reihenfolge an sich ist nicht ungewöhnlich. Die NSU-Untersuchungsausschüsse im Bundestag und im Thüringer Landtag sind genauso vorgegangen. Doch in Thüringen einigten sich die Ausschussmitglieder schnell darauf, zusätzlich zu den monatlichen Treffen Sondersitzungen abzuhalten, um noch vor der Sommerpause Zeugen zu hören. Die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx von der SPD lobt die gute Zusammenarbeit.

Der Unterschied zu Sachsen: In Thüringen stimmten alle Fraktionen, auch die CDU ohne große Diskussion für einen Untersuchungsausschuss. Bis zur Sommerpause Ende kommender Woche werden dessen Mitglieder insgesamt dreizehnmal zusammengekommen sein. In Sachsen gab es bisher lediglich vier Sitzungen. Am heutigen Montag wird es in Dresden die fünfte und letzte vor der Sommerpause geben. Wieder sollen nur Experten gehört werden - diesmal zur Sicherheitsarchitektur in Sachsen. "Sollte es nach der Sommerpause weiter so schleppend vorangehen, werden wir eine Sondersitzung nach der anderen beantragen", sagt Linken-Politiker Bartl. Ob sich dadurch die Zusammenarbeit im Ausschuss verbessert, wird sich zeigen müssen.

Bis zum Ende der Legislaturperiode 2014 sollen die Untersuchungen im Landtag abgeschlossen sein. Für Innenminister Markus Ulbig sind sie es jetzt schon: Am vergangenen Mittwoch legte der CDU-Mann einen entsprechenden Abschlussbericht seines Ministeriums vor. Die Schuld dafür, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos unbehelligt in Sachsen leben konnten, sieht der Freistaat demnach nicht bei sich. Thüringen hat zu wenige Informationen preisgegeben, deshalb hätten die sächsischen Sicherheitsbehörden gar nichts gegen das verkannte Neonazitrio ausrichten können, lautet stattdessen die Botschaft des 23-seitigen Papiers. Nach heutigem Wissen seien "keine Versäumnisse innerhalb des polizeilichen Handelns zu erkennen".

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