Urteile:Den Nerv getroffen

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Laut dem Bayerischen Landessozialgericht dürfen Kassen über zahnmedizinische Gutachter nicht selbst entscheiden

Von Susanne Hermanski, München

Bei den Krankenkassen dürften zwei Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) einen empfindlichen Nerv treffen. Sie nehmen den Kassen die Entscheidungsfreiheit, welche Gutachter sie für die Prüfung ihrer Leistungspflicht bei Zahnbehandlungen beauftragen. Und dies gilt auch rückwirkend, für bereits erteilte Gutachten. Das Gericht hat in dieser Woche erklärt: "Es steht nicht im Belieben der gesetzlichen Krankenkassen, sich einen bestimmten Gutachter oder Gutachterdienst auszuwählen. Das Sozialgesetzbuch bestimmt, dass die Krankenkassen allein den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Begutachtung beauftragen dürfen."

Die bislang gängige Praxis sah anders aus: Die Krankenkassen haben in Bayern stets nur einen Teil der Aufträge für Gutachten an den MDK Bayern überstellt, der diese, ohne Einflussmöglichkeit der einzelnen Kassen, an Gutachter vergibt. Dies waren im Jahr 2016 laut MDK 5392 Fälle. Die übrigen Gutachten vergaben die Kassen selbst. Diese Praxis spielte wiederholt eine Rolle in Rechtsstreitigkeiten. Zwei Fälle führt das LSG genauer aus. Im einen geht es um ein Mädchen, das an einer schweren Zahnfehlstellung litt und für das eine kieferorthopädische Behandlung beantragt worden war. Die Kasse hatte daraufhin einen Gutachter über die Kassenzahnärztliche Vereinigung beauftragt. Auf Grundlage seines Kurzgutachtens lehnte sie die Leistung dann ab. "Erst ein Jahr später bewilligte sie diese auf einen geänderten Antrag hin", schreibt das LSG. Zwischenzeitlich hatte das Kind unter starken Schmerzen gelitten, "es mussten mehrere Zähne entfernt werden". Das Kind habe nun vor dem Landgericht Schmerzensgeld geltend gemacht und feststellen lassen, dass die zunächst erfolgte Ablehnung rechtswidrig gewesen sei. Das LSG stellt fest: "Der vom Sozialgericht beauftragte Sachverständige hat in einem ausführlichen Gutachten dargestellt, dass die Behandlung von Anfang an indiziert gewesen wäre."

Beim zweiten Urteil des Landessozialgerichts geht es um eine Versicherte, die eine Versorgung mit Implantaten beantragt hatte, weil sie infolge einer Tumorerkrankung unter einer schweren Mundtrockenheit litt und keine Prothese tragen konnte. In ihrem Fall hatte die Kasse einen niedergelassenen Zahnarzt mit dem Gutachten betraut und dann die gesetzlich vorgeschriebene Frist bis zur Entscheidung deutlich überzogen.

Der MDK ist bislang bereits die zentrale Schaltstelle für alle Gutachten zur allgemeinen medizinischen Versorgung und für die Pflegestufen. Der MDK Bayern rechnet infolge der LSG-Urteile zur Zahnmedizin nun damit, dass auf ihn eine deutliche Auftragssteigerung zukommen werde. Die AOK Bayern - aufgrund ihrer Mitgliederzahlen die am stärksten betroffene Kasse - wollte und konnte sich in der vergangenen Woche weder zu den Gründen der bisherigen Gutachtenvergabe-Praxis äußern, noch zu den möglichen Folgen. Die Anfrage der Süddeutschen Zeitung dazu habe sie zu "kurzfristig" erreicht, hieß es.

© SZ vom 12.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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