Urteil:Deutliche Worte zum Kirchenasyl

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Gericht legt fest, wann sich Flüchtlinge in Pfarrgemeinden legal oder illegal aufhalten

Von Dietrich Mittler, München

Im Fall eines 31-jährigen Nigerianers, der sich 2016 im oberbayerischen Freising mehr als vier Monate lang im sogenannten Kirchenasyl befand, hat das Oberlandesgericht München (OLG) den Angeklagten nun in zweiter Instanz vom Vorwurf des illegalen Aufenthalts entlastet. Der vierte Strafsenat des OLG bestätigte am Donnerstag das Urteil des Amtsgerichts Freising vom 27. Oktober 2017, in dem der Angeklagte freigesprochen worden war. Die Staatsanwaltschaft Landshut hatte nach dem Freispruch durch das Amtsgericht umgehend eine sogenannte Sprungrevision angestrebt, um vom OLG grundsätzlich klären zu lassen, wie die Justiz künftig mit dem Kirchenasyl umzugehen habe. Das Verfahren stieß deshalb deutschlandweit auf Interesse.

Dass die Landshuter Anklagevertreter nun im Fall des 31-jährigen Nigerianers mit ihrer Revision nicht durchkamen, liegt an einem einzigen, aber für das OLG maßgeblichen Grund: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hatte sich im Februar 2015 mit Vertretern der evangelischen und der katholischen Kirche auf ein Übereinkommen geeinigt, wie in Fällen des Kirchenasyls konkret vorzugehen sei. Im Einklang mit diesem Übereinkommen sicherte das Bamf dem Nigerianer im Freisinger Kirchenasyl zu, die ihn betreffende Abschiebeanordnung erneut zu prüfen. Allein aus diesem Grund habe der Angeklagte Anspruch auf eine Duldung gehabt, argumentiert das OLG. Heißt: Er hat sich in diesem Zeitraum nicht strafbar gemacht.

Doch auch das stellte das Gericht klar: "Es gibt kein Sonderrecht für Kirchen." Auch nicht beim Kirchenasyl. Aus Sicht des OLG war die Revision der Landshuter Staatsanwaltschaft zwar als "unbegründet" zurückzuweisen, doch trotz der betont auf den Freisinger Einzelfall abzielenden Urteilsbegründung stellte das Gericht einige Punkte heraus, die bundesweit für weitere gerichtliche Kirchenasyl-Entscheidungen von Relevanz sein dürften.

Rainer Koch, der Vorsitzende Richter des vierten Strafsenats, fand dazu recht deutliche Worte. Erstens: Weder der bloße Eintritt eines Flüchtlings ins Kirchenasyl noch der bewusste Verzicht der Behörden, ihn dort mit polizeilicher Gewalt herauszuholen, führten automatisch dazu, dass der betroffene Flüchtling sich nicht strafbar mache. Zweitens: Flüchtlinge könnten nicht für sich beanspruchen, dass sie in der Zeit des Kirchenasyls per se eine Duldung bekommen und die drohende Abschiebung ausgesetzt wird. Das Kirchenasyl sei eben kein Rechtsinstitut, wie es im Juristendeutsch heißt. "Kirchenasyl verbietet dem Staat daher kein Handeln und zwingt ihn auch nicht dazu, eine Duldung zu erteilen", sagte der Vorsitzende Richter.

Auf die Argumente des vorangegangenen Sitzungstermins eingehend, stellte Richter Koch mit Blick auf die Verteidigung zudem fest: Bleiben die bayerischen Behörden im Falle eines Kirchenasyls untätig - so wie von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vorgegeben -, so bedeute das noch lange nicht, dass damit eine sogenannte Ermessensduldung oder eine stillschweigende Duldung einhergehe.

Weit mehr einstecken musste die Staatsanwaltschaft Landshut: Die hatte am ersten Sitzungstag vorgebracht, die Einigung zwischen dem Bamf und den Kirchen sei "ohne rechtliche Wirkung". Das sieht das OLG in seinem Urteil nun aber ganz anders. Sichtlich glücklich verließ der entlastete Angeklagte den Saal. Durch die Zeit im Kirchenasyl hat er seine Abschiebung nach Italien verhindern und in Deutschland einen Asylantrag stellen können. Zufrieden sind auch sein Verteidiger, der Münchner Rechtsanwalt Franz Bethäuser, sowie die Vertreter der Kirchen. Das OLG-Urteil schaffe bezüglich der Bamf-Vereinbarung Rechtssicherheit für die Flüchtlinge und die Pfarrgemeinden.

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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