Unter Bayern :Lass es endlich schneien

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Verschneite Szenerie in Freiham. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Man soll ja nicht jammern, dass früher alles besser war. Aber mehr Schnee gab es schon. Und kälter war es auch. Und noch früher war es noch kälter.

Glosse von Sebastian Beck

Am Sonntag wird der 1. Advent gefeiert, weshalb es an der Zeit ist, zu jammern: Es liegt kein Schnee. Selbst auf der Zugspitze sind es nur ein paar erbärmliche Zentimeter. Die Krankenhäuser haben tonnenweise Gipsschienen gebunkert, aber niemand fährt Ski.

Früher war das anders. Seit jeher erzählen die Alten den Jungen Schauerliches von Wintern in der Vorzeit. Der Autor kann sich beispielsweise noch gut an die Kältewelle Anfang 1985 erinnern, als das Thermometer auf minus 30 Grad fiel. Das kennt ja heute keiner mehr, da kann sich keiner eine Vorstellung davon machen, wie das ist, wenn die Bratwurst in der Semmel gefriert. Als junger Mann musste er damals für die Caritas in München-Haidhausen Alte zum Mittagessen einsammeln. Sie stiegen bei 25 Grad unter Null in der Joppe aus dem VW-Bus und beklagten sich darüber, dass die Winter mit denen in den Zwanzigerjahren nicht vergleichbar seien. Speziell 1929 seien die Vögel tot und erfroren vom Himmel gefallen. Da solle sich der langhaarige Zivi doch bitteschön nicht so haben.

Wahrscheinlich erzählten sie 1929 auch davon, dass es früher noch kälter war. Stimmt ja. Im Dorf Leopoldsreut etwa, da krochen die Menschen einst im Frühjahr durch Dachluken wieder ins Freie. Nach Wochen in der Finsternis haben die Leopoldsreuter ausgesehen und gerochen wie Schwarzgeräuchertes. Liebe Kinder, das Allerschlimmste aber war, dass es in den Häusern kein Wlan gab und damit weder Netflix noch Whatsapp. Auch Begriffe wie "hochladen" und "aufladen" hatten in Leopoldsreut noch eine ganz andere Bedeutung. Dafür haben sich die Leute in den eingeschneiten Stuben auch noch gruseliges Zeugs zugeraunt, was im Bayerwald "Weirazen" heißt: Zum Beispiel die Geschichte vom Teufel auf dem Lusen droben. Oder von den Druden, die sich nachts auf die Schlafenden setzen. Leopoldsreut wurde in den Sechzigerjahren von den Bewohnern aufgegeben, weil sie die Schnauze von der Kälte voll hatten.

Und trotzdem wäre es schön, wenn es jetzt endlich schneien würde. Es müssen nicht gleich fünf Meter sein.

© SZ vom 01.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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