Umstrittene Leitkultur:Bewährungsprobe fürs Integrationsgesetz

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Keine Diskriminierung, kein Rassismus: die Tafel eines Kurses für Einwanderer im Haus des Münchner Vereins "Initiativgruppe". (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Verfassungsgerichtshof befasst sich mit Klagen von SPD und Grünen, die fachliche Rechtsverstöße bemängeln

Von Dietrich Mittler, München

Bereits die Entstehungsgeschichte des bayerischen Integrationsgesetzes hatte deutlich gemacht, dass dieses Gesetz die Fraktionen im Landtag in unversöhnliche Lager spaltet - bis heute: Von der CSU-Mehrheit im Dezember 2016 nach mehr als 16-stündiger Debatte durchgedrückt, ist das Gesetz jetzt erneut Gegenstand einer heftigen Auseinandersetzung. Dieses Mal aber nicht im Plenarsaal des Landtags, sondern vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof. SPD und Grüne sehen das Gesetzeswerk als verfassungswidrig an. Die CSU weist dies strikt zurück.

"Das Integrationsgesetz muss sich heute vor Ihnen bewähren", sagte am Dienstag zu Beginn der Verhandlung der Münchner Anwalt Michael Bihler, der die SPD-Landtagsfraktion vertritt. Ein Arbeitsauftrag an Verfassungsgerichtshof-Präsident Peter Küspert und die weiteren acht Richterinnen und Richter, die bis zum 3. Dezember zu einer Entscheidung kommen wollen. Die Vorhaltungen gegen das Integrationsgesetz sind massiv: Der Freistaat habe sich nicht nur über die gesetzgeberische Kernkompetenz des Bund hinweggesetzt, sondern den Zielen des Bundesgesetzgebers sogar zuwidergehandelt.

Der Bund nämlich sehe bewusst davon ab, Migranten eine "Integrationspflicht" aufzuerlegen, und das mit gutem Grund: Integration werde als Prozess verstanden, in dem Migranten und Mehrheitsgesellschaft gleichermaßen zu einem Gelingen beitragen müssten. Bayern hingegen fordere von den Migranten ihre Assimilation - unter Aufgabe der eigenen Kultur. Dabei würden eindeutig verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte verletzt: etwa die Meinungsfreiheit, das Versammlungsrecht oder das Recht der Eltern, ihre Kinder nach ihren Vorstellungen zu erziehen.

Der Erlanger Rechtswissenschaftler Andreas Funke, der die Grünen vertritt, hält das Gesetz auch handwerklich für "völlig missglückt". Vielfach bleibe das Integrationsgesetz so sehr im Vagen, dass er sich frage, wie bayerische Gerichte in Konfliktfällen klärend eingreifen sollen. Durch seine Unbestimmtheit öffne es überdies der Willkür Tür und Tor. Es sei nicht einmal geklärt, wie Integrationskurse gestaltet werden sollen. Aus Sicht der Vertreter der CSU und der Staatsregierung geht diese Kritik an der Realität vorbei. Weder greife Bayern mit dem Integrationsgesetz in Bundeskompetenzen ein, noch verletze es die Grundrechte von Migranten. "Im Gegenteil, in Bayern gelingt Integration", sagte Tobias Reiß als Prozessbevollmächtigter der CSU-Landtagsfraktion.

Bevor das Gericht zusammentrat, hatten die politischen Akteure die Gelegenheit genutzt, vor Kameras und Mikrofonen ihre Positionen klar abzustecken - insbesondere, was den umstrittenen Begriff der "Leitkultur" betrifft, der schon in der Präambel des Gesetzes auftaucht. "Wir beschreiben praktisch bereits im Vorwort des Gesetzes das, was Bayern ausmacht", sagte Reiß. Es gehe um einen "identitätsstiftenden Grundkonsens, so eine kulturelle Grundordnung Bayerns". Grüne und SPD zeigten nun einmal mehr, dass sie das verkennen, "was Bayern ausmacht".

Klar, dass dies der SPD-Fraktionsvorsitzende Horst Arnold als Prozessvertreter seiner Partei ganz anders sieht. Angesichts des Erstarkens rechtsextremer Positionen könne einem vor der tatsächlich existierenden Leitkultur in Deutschland langsam angst und bange werden. "Integration wird hier verhindert statt gefördert", betonte indes Gülseren Demirel, die asyl- und migrationspolitische Sprecherin der Landtagsgrünen. Das gegenwärtige Integrationsgesetz des Freistaats sei nicht nur handwerklich missraten, es enthalte überdies "zahlreiche fachliche Rechtsverstöße".

Es werde ein völlig überzeichnetes Bild gezeichnet, widersprachen die Vertreter der CSU-Linie. Die Leitlinien seien nicht mehr als "ein Orientierungsrahmen" für Migranten, die erstmals mit westlichen Werten zu tun hätten. Dabei gelte es, Parallelgesellschaften zu verhindern. Für die Anwälte der Grünen und der SPD sind solche Worte indes nur Taktik: Das Gesetz spreche eine ganz andere Sprache. Und sein Ziel sei die "Integration mit der Brechstange".

© SZ vom 30.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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