Sperrungen in Österreich:Aufstand im Transitland

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Wo soll es hingehen? Darauf müssen Urlauber hier nun jedes Wochenende antworten. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Tirol wehrt sich mit drastischen Mitteln gegen den Durchgangsverkehr. Ministerpräsident Söder bezeichnet die Maßnahmen als diskriminierend und fordert, dass der Bund Klage einreicht.

Von Lisa Schnell, München/Patsch

Wer in Patsch wohnt, einem kleinen Dorf in Tirol, der sollte an manchen Tagen besser genügend zum Essen daheim haben. "Da kann man nicht mal schnell ein Brot oder eine Milch holen", sagt Bürgermeister Andreas Danler am Telefon. Einen Ausflug machen? Freunde im Nachbardorf besuchen? Nein und Nein. Es ist einfach so: An manchen Tagen ist Patsch wie ein Gefängnis. "Da kommen Sie nicht mehr raus."

Da ziehen sich durch das 1000-Seelen-Dorf Kolonnen von Autos. Keiner kommt mehr vor, keiner zurück. Es sind Urlauber, die weg wollen vom Stau auf der Autobahn und ihren Navis folgen, "blind", sagt Danler - oder wie es bei ihm daheim heißt: "ohne Hausverstand". Die aberwitzigsten Irrfahrten hat er schon erlebt. Große Wohnwagen, die auf kleinen Feldwegen ins Nirgendwo holpern.

Autos, die in den schmalen Gässchen des alten Dorfkerns stecken, die Balkone einreißen, oder zumindest fast. "Die rauschen rein, bis es nicht mehr geht. Bis zum Anschlag." Sie haben in Patsch nichts gegen Urlauber, sagt Danler, aber mittlerweile sei die Stimmung schon "sehr gereizt". Noch schlimmer sei es ein paar Kilometer weiter im Nachbardorf. Und als an Pfingsten wieder die Urlaubsmassen anrollten, da sei durch die Region "ein richtiger Aufschrei" gegangen.

Der Aufschrei wurde gehört. Seit Donnerstag hat Tirol ein Fahrverbot für "Stau-Ausweichler" und Mautvermeider verhängt. Danler hat es sofort gespürt. Ihre Fronleichnamsprozession mit Kapelle und Schützenkompanie lief diesmal ohne Autochaos ab. Nur zwei sind der Polizei durchgeflutscht. Die kamen aber auch nicht weit: "Durch 300 Leute fährt man nicht einfach so durch." Danler ist kein schadenfroher Mensch, aber irgendwie freut es ihn doch, dass diesmal die Patscherer die Straße blockierten und es die Urlauber waren, die nicht weiterkamen. "So ein Dorfleben muss doch möglich sein", sagt er. Nur: freier Personenverkehr, muss das in der EU nicht auch möglich sein?

So sieht das zumindest Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Als "diskriminierend und europarechtswidrig", bezeichnet er in einem Interview mit dem Münchner Merkur die Fahrverbote. Söder fordert wörtlich: "Der Bund muss jetzt reagieren und gegen so ein Verhalten in Europa Klage einreichen."

Die Nachbarschaft zwischen Österreich und Bayern war noch nie spannungsfrei. In den nächsten Tagen dürfte sie noch eine Spur angespannter werden. Da muss man nur dem bayerischen Verkehrsminister Hans Reichhart und Günther Platter (ÖVP), Landeshauptmann von Tirol, zuhören. Schon am Donnerstag schimpfte Reichhart "Schikane!" über die Grenze. Er ist gerade selbst im Urlaub, auf Mallorca, also nichts mit Stau. Wie es ist mit zwei Kindern im Auto auf der Autobahn dahinzukriechen, das weiß er aber sehr genau.

"Wenn ich sage, du musst auf der Autobahn bleiben, ist das eine Beeinträchtigung der Freiheit. Ich bin dem voll ausgeliefert", sagte Reichhart. Auch in seinen Augen, die eines Juristen und Richters, schränkt die Regelung nicht nur die Freiheit von Waren und Personen ein, sondern ist auch diskriminierend. Die Ausfahrten sind allein für Durchreisende gesperrt, also vor allem für ausländische Urlauber. "Ich darf nicht die eigenen Bürger den anderen vorziehen. Es braucht eine Gleichbehandlung", sagt Reichhart.

Nur: Hat die CSU es mit der Pkw-Maut nicht genauso gemacht? Natürlich nicht, sagt Reichhart. Da hätten ja zuerst alle Bürger zahlen müssen, bevor dann nur die Inländer ihr Geld wiederbekommen hätten.

Der Europäische Gerichtshof sah das anders und nannte die Maut diskriminierend. So sehr Reichhart das als CSU-Mitglied für nicht richtig hält, hofft er doch, dass die EU-Kommission bei dem Tiroler Fahrverbot zu einem ähnlichen Urteil kommt. Falls nicht, drohte Reichhart am Donnerstag noch damit, "dass wir die Tiroler Argumentation auch auf Bayern übertragen müssen". Also Fahrverbote für Urlauber auch in Bayern? Nein, so will er das nicht verstanden wissen, sagt Reichhart. Bald, im Juli, werde es Gespräche mit Tirol geben, bei denen man nach einer einvernehmlichen Lösung suchen werde. Reichhart ist zuversichtlich, dass man sie findet: "Ich bin da Optimist."

Nicht ganz so versöhnlich tönt es dagegen aus Österreich. "Nur weil unsere Nachbarn bei der Pkw-Maut eine empfindliche Niederlage einstecken mussten, sollen sie jetzt nicht die Beleidigten spielen", sagt der Tiroler Landeshauptmann Platter. "Zu 100 Prozent" seien die Maßnahmen durch das EU-Recht gedeckt. So habe das ein Europarechtsexperte der Universität Innsbruck bestätigt. Die Bayern hätten offenbar nicht kapiert, um was es ginge. Wenn Dörfer so verstopft seien, "dass es nicht einmal mehr für die Rettungsdienste ein Durchkommen gibt, dann können und dürfen wir nicht tatenlos zusehen", sagt Platter. Tirol werde seinen Kampf konsequent fortsetzen: "Das sind wir den Menschen in unserem Land schuldig."

In österreichischen Zeitungen fordern FPÖ-Politiker die Ausweitung der Fahrverbote. Es ist von einer "Notwehrmaßnahme" die Rede, mit der die Österreicher vor ausländischen Reisenden geschützt werden müssen. Wer das so liest, der kann kurz ein ungutes Gefühl bekommen. Schwingt da zwischen den Zeilen etwa ein Hauch Nationalismus mit?

In Patsch weist Bürgermeister Danler das weit von sich. Wenn Politiker anderer Parteien meinen, aus den Nöten seines Dorfes politisches Kapital schlagen zu müssen, dann findet er das falsch. Danler ist parteilos. Ganz nüchtern betrachtet aber gebe es eben ein Problem: Auf dem Brenner sind zu viele Autos unterwegs. Jedes Jahr würden es mehr: "Irgendwann ist mal eine Grenze erreicht." Wie man das löst, dafür hat Danler keine Patentlösung, aber als "überzeugter Europäer" sagt er: "Lösungen muss man immer gemeinsam suchen." In diesem Fall also: Bayern und Österreich. Mit entsprechenden Fahrverboten auf bayerischer Seite hätte Danler übrigens kein Problem. Viel wichtiger aber findet er, dass die Zugverbindungen ausgebaut werden. Wenn er selbst Urlaub hat, dann fliegt er meistens. Auch nicht gut, wegen der Umwelt, sagt er, aber wenigstens kein Stau. Oder aber: Er geht auf den Berg hinter seinem Haus. Da kommt er ganz ohne Auto hin. Das sei doch das Beste.

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© SZ vom 22.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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