SZ-Serie: Familientreffen, Folge 1:Wenn die Frau doch die Schwester ist

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Ewald, Sigrun und Helwig Arenz sind Geschwister - und Schriftsteller. Ihr Leben und Schreiben ist recht unterschiedlich, die familiären Bande halten dennoch. Mit den dreien beginnt eine neue SZ-Serie, die Familien in ihren verschiedenen Konstellationen porträtiert

Von Olaf Przybilla, Fürth

Es gibt da diese Geschichte namens "Zärtliche Bande" von Ewald Arenz, dem ältesten der Schriftsteller-Geschwister. Die Figur Arenz besucht einen Empfang mit Ministerpräsident auf der Nürnberger Kaiserburg und realisiert im Stehen eine "lockige Dame in roter Seidenbluse", die seine Konzentration aufs gesprochene Wort minimiert. Zu annähernden Maßnahmen indessen kommt Arenz nicht, weil eine andere Besucherin die Gelegenheit nutzt, ihn mit allerlei Vorhaltungen zu traktieren. Da schau her, er habe also wieder geheiratet, ätzt die Frau. Und die Neue sei ja nun deutlich jünger als er. Seine Erwiderung "Wieso wieder verheiratet? Ich bin noch nicht mal geschieden", stößt auf überschaubare Resonanz. Im Gegenteil schwingt sich die Gesprächspartnerin nun auch noch zur Literaturkritikerin auf, reibt Arenz vergiftetes Lob hin ("Ich mag Ihre romantischen Sachen ja"), um anschließend zur eigentlichen Ansage zu kommen: "Aber die Krimis Ihrer Frau - wow!"

Weil der Ministerpräsident in der Geschichte gerade über Tod und Verklärung räsoniert, verzichtet Arenz auf eine Erwiderung. Dass die deutlich jüngere Frau, der da gehuldigt wird, seine Schwester ist, erfährt die Anklägerin also nicht. Diese fährt fort im Giftlobpreis, nun mit psychoanalytischem Scharfsinn: Des Schriftstellers Sohn erst - dessen Romandebüt sei richtig gelungen: "Da müssen Sie aufpassen, dass er Sie nicht vom Sockel stößt, gell?" Die Geschichte endet im Tumult, weil Arenz der Kragen just in dem Moment platzt, als der Ministerpräsident über die eigenen Worte nachsinnt - und der Schriftsteller sich in dieser Pause zu einem mäßig gelungenen, dafür lautstarken Befreiungsschlag aufschwingt: "Meine Frau ist meine Schwester und mein Sohn ist mein Bruder!" Die Gesprächspartnerin flüstert daraufhin: "Krank, Sie sind sehr krank" - und um Arenz bildet sich ein honoratiorenfreies Vakuum. Die Geschichte - sie ist im Band "Unsere kleine Welt" erschienen, der Kolumnen der Geschwister Ewald, Sigrun und Helwig Arenz versammelt - endet mit dem Ausblick: "Wenn das so weitergeht, bleibt mir irgendwann nur noch die Familie."

Man muss keinen auf die Couch legen, um zu ahnen, dass in dieser Geschichte viel Psychologie enthalten ist. Ewald Arenz, 53, darf man - schon was die Auflage betrifft - zu den etablierten Autoren der Republik zählen. Mehr als 120 000 Bücher hat er bislang verkauft, etwa die Hälfte davon mit seinem bei Ars Vivendi und dtv erschienenen Longseller "Der Duft von Schokolade". Dass Arenz lange der einzige war in diesem fränkischen Zweig einer Großfamilie, dem das Etikett Schriftsteller anhaftete, liegt in der Natur der Sache. Seine Schwester Sigrun ist zwölf Jahre jünger als er, sein Bruder Helwig mehr als 15 Jahre. Als die Eltern mal keine Lust hatten, schickten sie einfach Ewald in die Elternsprechstunde, um sich über die schulischen Leistungen von Helwig in Kenntnis setzen zu lassen. Dass das lange kein Verhältnis auf Augenhöhe war, verstehe sich da von selbst, sagt Arenz der Ältere. Spätestens aber seitdem 2014 "Der böse Nik" erschien, dieses geschliffene Sittengemälde einer Halbwelten-WG, und Helwig Arenz enorm viel Zuspruch dafür erfuhr, tauschen sich die Geschwister auch künstlerisch aus. Schwester Sigrun hatte zuvor schon Kriminalromane vorgelegt, und wer ihr 2012 erschienenes Buch "Nicht vom Brot allein" liest, der ahnt, dass die eingangs zitierte Geschichte einen wirklichkeitsnahen Kern haben dürfte: "Aber die Krimis Ihrer Frau - wow!" Nur dass es in Wahrheit eben die Schwester ist.

Fränkische Künstlerfamilie: Ewald Arenz (Mitte) ist der älteste im Bunde, Sigrun Arenz schreibt ebenfalls, Nesthäkchen Helwig ist Autor und Schauspieler. (Foto: Olaf Przybilla)

Das Genre Regionalkrimi ist ein Phänomen mit epidemischen Zügen, die Verlage drängen darauf, weil sich Bücher mit örtlichem Mord besser verkaufen also ohne. In Sigrun Arenz' fein gesponnenem Roman gibt's auch einen Toten, empfehlen kann man das Buch aber vor allem jenen, die den lange real-existierenden G 8/G 9-Wahnsinn an Bayerns Gymnasien aus einem Lehrerzimmer heraus kennenlernen wollen. Der letzte G 9-Jahrgang? "Sie waren die letzten ihrer Art - das G 8 war so anders strukturiert, dass Durchfallen keine Option war", heißt es da. Würde ein bayerischer Beamter öffentlich schildern, zu welchen Eiertänzen solche Regelungen führen konnten (ein Lehrer fragt den Direktor, ob man das als indirekte Aufforderung verstehen müsse, "alle durchkommen" zu lassen) - der Beamte liefe Gefahr, sich einen gehörigen Spreißel einzuziehen. Sigrun Arenz ist Deutschlehrerin. Und Schriftstellerin. Als Künstlerin darf sie das.

Die Tatsache, dass Schriftsteller überdurchschnittlich oft aus protestantischen Pastorenhaushalten stammen, ist häufig beschrieben worden. Hermann Hesse ist Pfarrerssohn, auch Gottfried Benn und Bernhard Schlink, nicht zuletzt der wohl größte Autor aus Franken: Jean Paul. Pastorenhaushalte waren stets Horte der Bildung, Bollwerke des Humanismus. Das Elternhaus, in dem die Geschwister Arenz großgeworden sind, darf man sich exakt so vorstellen. Wer die drei in einem Café über den Dächern von Fürth trifft, in der Stadt, in der sie alle mal gelebt haben, hört eine gemeinsame, nur in Details abweichende Geschichte: Bildungsbürgerlich streng war das Haus, aber enorm freidenkerisch und den Künsten zugewandt. Wer einen Super-8-Film drehen wollte statt Hausaufgaben zu machen, der sollte das eben tun in Gottesnamen. Dass Ewald Arenz, das älteste von insgesamt sieben Kindern, Künstler werden würde, war ihm als Jugendlicher schon klar. Die Zeit indes, als er sich nach der Schule als Gelegenheitsarbeiter durchschlagen musste, war heilsam. Arenz entschied sich für eine Künstler-Nebenexistenz: Werktags ist er Gymnasiallehrer wie seine jüngere Schwester. Geschrieben wird am Wochenende und in den Ferien.

Manchmal sind es ja die Kinder, die das verwirklichen, was sich die Eltern nicht getraut haben, oft aus bürgerlichem Sicherheitsdenken heraus. Bei den Geschwistern Arenz kommt diese Rolle womöglich dem jüngsten Bruder, Helwig, zu. "Eltern sind anfangs ambitioniert, was den Bildungsauftrag angeht", sagt er. Dieser Anspruch allerdings schleife sich später ab. Und dann habe man gewissermaßen Narrenfreiheit. Auch er begann zunächst ein geisteswissenschaftliches Studium, er hätte ebenfalls Lehrer werden können. Nun aber ist er freier Schauspieler und Schriftsteller. Künstler also ohne doppelten Boden.

Sippen, Sitten, Soziotope - wie Familien heute leben, SZ-Serie. (Foto: Mainka)

In der Geschichte "Dramatische Ironie" aus dem gemeinsamen Kolumnen-Buch liest man eine herrliche Szene, in der das angedeutet ist. Arenz der Jüngste bezeichnet darin seinen ältesten Bruder Ewald - bekennender Hutträger und Anhänger einer "bürgerlichen Existenz" - als "seelenlosen Kulturzombie". Und schiebt hinterher: "Für manche bedeutet Theater etwas!"

Das ist hochironisch. Gleichwohl darf man wohl einen kleinen Thomas-Mann-Konflikt darin erkennen: Hier der Alphamann der Familie, der Autor, der an schulfreien Tagen zwischen acht und zwölf Uhr mit eiserner Disziplin am Schreibtisch sitzt - und es auf ein Werk von zwölf Romanen gebracht hat, die Publikumswirksamkeit zumindest nicht zu umgehen versuchen. Dort der schreibende Schauspieler, Verfasser künstlerisch ambitionierter Texte, der im Café bekundet, ein festes Engagement am Staatstheater nicht zu beabsichtigen, weil dies ein Leben als Autor nicht zulassen würde - weshalb er freies Theater bevorzuge. Daraufhin Ewald Arenz: "Du weißt aber schon, dass Sigrun und ich uns auch in festen Engagements befinden?" Und zwar als Lehrer. Was Helwig souverän weglächelt: "Ja klar, deshalb müsst ihr mich auch finanzieren." Sigrun Arenz sitzt dazwischen und schmunzelt maliziös. Es ist ein schöner, ein angenehm spöttischer Ton zwischen diesen Geschwistern.

Finanzieren? Auch das ist wohl höchstens viertelernst gemeint. Aber möglich wär's wohl. Ewald Arenz hat heuer sein erstes Buch bei Dumont vorgelegt, literarisch spielt er nun in der ersten Liga. "Alte Sorten" ist ein bezaubernd feiner Roman über eine junge und eine ältere Frau, die sich zusammen eine Welt basteln. Arenz schreibt das in einem stillen, schwebend leichten Ton. Und die Geschwister? Sigrun Arenz lässt erkennen, dass sie das Buch jedenfalls nicht für völlig missraten hält, sie kann's beurteilen, sie ist die einzige studierte Germanistin. Helwig Arenz lächelt und will sich nicht festlegen, nicht mal darauf, ob er das Buch ganz gelesen hat. So also ist das unter Schriftsteller-Geschwistern.

© SZ vom 02.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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