SZ-Serie: Dem Schnabel nach:Schnepfingers Verwandtschaft

Lesezeit: 3 min

In Bayern gibt es zehn Wiesenbrüter-Arten, alle stehen auf der Roten Liste. Der Große Brachvogel gilt als Leitart, deswegen wählte ihn der Landesbund für Vogelschutz für sein Forschungsprojekt aus

Von Christian Sebald, München

Im andalusischen Nationalpark Coto de Doñana halten sich zur Zeit Zigtausende Zugvögel auf. Die einen richten sich ein zum Überwintern, die anderen machen nur kurz Rast. Aber trotz des Trubels gibt es viele ruhige Plätzchen. Einen solchen hat sich Schnepfinger zum Übernachten auserkoren. Es ist eine alte Saline im Norden von Bonanza. Der Fischerhafen liegt direkt an der Grenze zum Nationalpark, nur die Mündung des Guadalquivir in den Atlantik trennt ihn davon. Im Norden von Bonanza liegen viele alte Salinen. Hier ist es sehr ruhig und beschaulich. Eine dieser Salinen gefällt Schnepfinger so gut, dass er sie jeden Abend aufsucht zum Übernachten. "Er steht dann oft mehrere Stunden lang in der Dunkelheit im Schlick und ruht", sagt Markus Erlwein vom Landesbund für Vogelschutz (LBV). "Den langen Schnabel dürfte er unters Gefieder gesteckt haben, ein Bein hat er höchstwahrscheinlich angewinkelt."

Warum hat sich der LBV eigentlich den Großen Brachvogel für sein Wiesenbrüter-Forschungsprojekt herausgesucht? Es gibt doch in Bayern noch neun andere Wiesenbrüter-Arten, von denen er eine hätte auswählen können. Die Uferschnepfe zum Beispiel, den Rotschenkel oder die Bekassine. Wie Schnepfinger sind sie alle Schnepfenvögel. Aber auch der Wachtelkönig, der Kiebitz, die dezent gefärbte Grauammer, der Wiesenpieper und das winzige Braunkehlchen sind alle Wiesenbrüter. "Streng genommen muss man auch die Schafstelze dazurechnen", sagt Andreas von Lindeiner, der oberste Artenschützer des LBV, "auch wenn der amtlichen Naturschutz sie nicht zu den klassischen heimischen Wiesenbrüter-Arten zählt." All diesen Vögeln ist nicht nur gemeinsam, dass sie ihre Nester meist inmitten eher feuchter Wiesen, bisweilen aber auch auf trockenen Ackerböden anlegen. Sondern auch, dass sie - wie Schnepfinger und Co. - alle auf der Roten Liste stehen. "Und unsere Wissenslücken sind bei ihnen nicht weniger groß als bei den Brachvögeln", sagt Lindeiner. "Der Forschungsbedarf ist bei sämtlichen Arten immens."

Der GPS-Sender auf Schnepfingers Rücken wiegt 17 Gramm. Der stört ihn beim Fliegen überhaupt nicht. (Foto: Wolfgang Nerb/LBV)

Der wohl wichtigste Grund, warum der LBV ausgerechnet den Großen Brachvogel ausgewählt hat, ist "dass er die Leitart der Wiesenbrüter in Bayern ist", wie Lindeiner sagt. "Von allen vom Aussterben bedrohten Wiesenbrütern kommt er mit immerhin 465 Brutpaaren noch mit am häufigsten vor und ist überdies in allen Wiesenbrüter-Regionen hier bei uns anzutreffen." Vom Rotschenkel, der seinen Namen von seinen leuchtend roten Beinen hat, sind dagegen noch gerade mal 14 Brutpaare nachgewiesen, von der Uferschnepfe nur etwas mehr als 30. "Mit solchen Kleinstbeständen kann man kein aufwendiges Forschungsprojekt rechtfertigen", sagt Lindeiner. "Das macht kein Geldgeber mit."

Von der Bekassine wiederum gibt es bis zu 900 Brutpaare, deutlich mehr also als vom Großen Brachvogel. Aber die Bekassinen leben vor allem in Mittel- und Unterfranken und in einigen kleinen Gebiete im oberbayerischen Hügelland. "Uns war aber wichtig, dass unsere Projektart einen möglichst großen Teil Bayerns abdeckt", sagt Lindeiner. "Schnepfinger und seine Artgenossen fühlen sich auch an der Unteren Isar, der Donau und im Altmühltal wohl."

Kiebitz

1 / 3
(Foto: Patrick Pleul/picture alliance)

Grauammer

2 / 3
(Foto: dpa)

Braunkehlchen

3 / 3
(Foto: Richard Wesley/Wikipedia)

Wachtelkönig

Außerdem wollten Lindeiner und seine Kollegen, "dass unsere Projektart so richtig was her macht, damit wir die Leute für den Vogelschutz sensibilisieren können". So ein Großer Brachvogel macht richtig was her, er ist eine sehr markante Erscheinung. Allein seine bis gut 40 Zentimeter Körpergröße und der zehn Zentimeter lange elegant nach unten gebogene Schnabel. Ein jeder Laie, der nur einmal ein Foto eines Großen Brachvogels gesehen hat, wird ihn erkennen, sollte er einmal in freier Wildbahn auf einen stoßen. Vom Wachtelkönig hingegen kann man von Glück sagen, wenn man ihn einmal nächtens sein "Crex Crex" rufen hört. Zu Gesicht bekommt man den nachtaktiven und äußerst scheuen Rallenvogel so gut wie nie.

Beim Braunkehlchen ist es wieder anders. Das kennt ein jeder vom Namen her. Aber es ist viel zu winzig und zu flink, als dass es Laien noch identifizieren könnten, wenn tatsächlich einmal eines an ihnen vorbei schwirrt. Mit den Grauammern ist es ganz ähnlich, auch wenn sie deutlich größer und kräftiger als Braunkehlchen sind. Hinzu kommt, dass weder Braunkehlchen noch Grauammern so einen GPS-Sender tragen könnten. Der wiegt zwar nur 17 Gramm. Aber entspricht ziemlich genau dem Gewicht eines Braunkehlchens und ist viel zu schwer für so einen kleinen Vogel. Selbst ein Kiebitz, der auf 220 Gramm kommt, wäre von so einem GPS-Sender überfordert. "Denn es gilt die Regel: Mehr als fünf Prozent des Körpergewichts darf so ein Sender nicht wiegen, damit ihn der Vogel nicht spürt", sagt Lindeiner. "Bei einem Kiebitz wären es fast acht Prozent und damit deutlich zu schwer."

Übrigens: Im Lauf der kurzen Zeit, die Schnepfinger nun am Netz ist, hat er sich als absolutes Gewohnheitstier erwiesen. "Nicht nur, dass er, wenn es dunkel wird, immer die gleiche Saline zum Übernachten anfliegt", sagt der LBV-Mann Erlwein. "Morgens um acht, wenn er ausgeruht ist, fliegt er von dort über den Guadalquivir in den Nationalpark zum Frühstück hinüber." Und zwar immer auf die gleiche Sandbank, wo er mit seinem langen Schnabel im Schlick nach Würmern, winzigen Krebsen und anderem Getier stochert.

© SZ vom 20.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: