SZ-Aktion "Dem Schnabel nach":Ab in den Strandurlaub

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Die bayerischen Brachvögel überwintern allesamt an der Atlantikküste, das ist ein erstes Ergebnis der LBV-Aktion. Dort finden sie ausreichend Futter und ein mildes Klima. Schnepfinger weilt weiterhin in Andalusien

Von Christian Sebald, München

Zwar ist Schnepfinger schon seit etlichen Wochen in seinem Winterquartier an der andalusischen Atlantikküste. Aber der Zug der Großen Brachvögel aus Bayern in den Süden geht erst jetzt zu Ende. Die Jungvögel fliegen dieser Tage ab. Zeit für eine erste Zwischenbilanz. Die fällt recht gemischt aus, auch wenn das auf fünf Jahre angelegte Forschungsprojekt des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) über die vom Aussterben bedrohten Schnepfenvögel erst am Anfang steht.

Die ernüchterndste Erkenntnis zuerst. Von den zehn Brachvögeln, denen die Biologin Friederike Herzog und ihre Helfer bisher GPS-Sender umgeschnallt haben, sind bereits drei tot. Allen voran der erste SZ-Vogel, der wenige Stunden, nachdem er den Sender umhatte, von einem Fuchs oder einem anderen kleinen Raubtier zur Strecke gebracht worden ist. Inzwischen haben Herzogs Helfer den Sender samt Kadaverresten und Bissspuren entdeckt. Ein zweiter Brachvogel - ebenfalls ein Jungtier, das seit Herbst 2017 an der marokkanischen Atlantikküste war - ist dort von Jägern erlegt worden. Und der dritte Brachvogel flog auf dem Zug gen Süden über den französischen Alpen in eine Schlechtwetterfront. Als er notlandete und sich einen Unterschlupf suchte, holte ihn ein Fuchs, ein Uhu oder ein anderes Raubtier.

Aber das ist noch nicht alles. Zwei weitere Brachvögel werden vermisst und "zwar schon so lange, dass sie ebenfalls nicht mehr am Leben sein dürften", wie der LBV-Mann Markus Erlwein sagt. Der eine war seit 2017 am Sender. Den Winter 2017/2018 verbrachte er wie jetzt Schnepfinger an der andalusischen Atlantikküste. Und wie es sich für einen bayerischen Brachvogel gehört, war er Anfang März 2018 zurück im Freistaat. Wochenlang war er quickfidel. Im Juni herrschte auf einmal Funkstille. "Zwar ist es nicht hundertprozentig sicher", sagt Erlwein. "Aber er ist wahrscheinlich tot." So wie auch der Brachvogel, der schon im Sommer 2017 über dem spanischen Andalusien verschwand.

"50 Prozent Ausfall, das ist überhaupt nicht schön", sagt Erlwein. Zwar ist bekannt, dass Große Brachvögel eine hohe Mortalität haben, vor allem die Jungvögel. Aber dass gleich so viele Tiere nicht einmal den Beginn des Forschungsprojekts überleben, damit haben sie beim LBV nicht gerechnet. Wobei Erlwein vor vorschnellen Schlüssen warnt. "Zehn Vögel sind eine zu kleine Gruppe für wirkliche Erkenntnisse", sagt er. "Wir müssen einfach abwarten, was sich ergibt, wenn wir nächstes Jahr weitere Vögel mit GPS-Sendern auf die Reise schicken." Insgesamt plant der LBV, wenigstens 30 Brachvögel auf dem Winterflug zu beobachten.

Um so besser, dass sich Schnepfinger und seine vier anderen Artgenossen in dem Projekt wohl fühlen. Auch sie liefern erste Erkenntnisse. Sie alle zeigen, wie wenig man bisher über Große Brachvögel weiß. "Die wichtigste bisher ist wohl, dass die bayerischen Brachvögel alle an den Atlantik fliegen und nicht in ein Feuchtgebiet oder zu einem Stausee im Landesinneren", sagt Erlwein. "Und zwar wie in einem großen Streuschuss nach Portugal, Spanien und Marokko, das war bisher nicht so klar." So wie auch die Tatsache, dass einzelne Überwinterungsgebiete weit voneinander entfernt sein können. Zwischen der nordportugiesischen Stadt Porto, wo einer der bayerischen Brachvögel herumschwirrt, und dem marokkanischen Küstenort Sidi Moussa, wo ein anderer in einer weitläufigen Lagune nach kleinen Würmern, Krebsen und anderem Getier stochert, sind es 850 Kilometer Luftlinie.

Warum die bayerischen Brachvögel alle ans Meer fliegen, darüber haben sie im LBV bislang aber nur Hypothesen. "Im Winterquartier, da kommts vor allem darauf an, dass sie ausreichend Nahrung finden", sagt Erlwein. "Und die ist im Schlick an den Atlantikküsten in Portugal, Spanien und Marokko im Übermaß vorhanden." Ansonsten soll ein möglichst mildes Klima herrschen. "Das ist es dann aber auch schon", sagt Erlwein. "Für die Brachvögel ist die Winterzeit am Atlantik wie ein achtmonatiger Strandurlaub - Hauptsache es ist ruhig und das Fressen stimmt." Anders die übrigen vier Monate des Jahres. Die sind Stress pur. Erst der anstrengende 2000 Kilometer lange Flug zurück nach Bayern. "Dann die Suche nach dem richtigen Nistplatz und die Balz", sagt Erlwein. "Später müssen die Elterntiere das Gelege und die Jungtiere bewachen, permanent Nahrung heranschaffen und zusehen, dass auch für sie ausreichend Fressen abfällt." Und dann sofort wieder der weite Flug ins Winterquartier. Schnepfinger hat sich seinen Strandurlaub mehr als verdient.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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