Altes Schloss Valley:Dieser Mann hat mehr als 60 Orgeln

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Seit Jahrzehnten rettet Sixtus Lampl Spieltische, Gehäuse und sogar komplette Instrumente. Zwei Dutzend davon sind spielbereit und bei Führungen und Konzerten zu hören.

Von Matthias Köpf

Es ist lange her, dass er zum ersten Mal auf diese Tasten gedrückt hat. Damals konnte er, ein Schlierseer Bauernbub von gerade einmal elf Jahren, mit jeder kleinen Bewegung seiner Finger einen riesigen Raum zum Klingen bringen, die ganze Kirche der Benediktinerabtei Schäftlarn mit Tönen füllen, mit zarten und mit mächtigen. Jetzt, fast 67 Jahre später, liegen seine so viel älteren, aber immer noch geschmeidigen Hände wieder auf diesen Tasten. "Da geht meine Orgelgeschichte los", sagt Sixtus Lampl, der als Internatsschüler in Schäftlarn zum ersten Mal in Berührung kam mit diesem, mit seinem Instrument. Inzwischen gehört ihm das Instrument wirklich, denn der Spieltisch steht nicht mehr auf der Orgelempore von Kloster Schäftlarn, sondern im zweiten Stock des riesigen, viergeschossigen Dachbodens über Lampls Orgelzentrum im Alten Schloss Valley im Landkreis Miesbach.

Wenn Sixtus Lampl dort jetzt diese Tasten drückt, dann ist nur ein gedämpftes Klacken zu hören, denn die vielen Pfeifen, die hölzernen und die aus Zinn, liegen geschichtet, gebündelt und gestapelt auf dem Dachboden. Gleich daneben lagern die Pfeifen der großen Orgel von St. Martin in Landshut, mit denen vor mehr als drei Jahrzehnten das aktuelle Kapitel von Lampls Orgelgeschichte begonnen hat. Aus dem Buben war ein promovierter Kunsthistoriker geworden, der im Landesamt für Denkmalpflege für die Oberpfalz und das westliche Niederbayern und von 1980 an auch für alle historischen Orgeln in Bayern zuständig war. Auch für die von St. Martin in Landshut, die aber einer neuen weichen sollte. "Ich spiel die Orgel und denk mir, so was hab ich überhaupt noch nicht an Klang gehört", sagt Lampl. Doch am Ende half alles nichts: Die Landshuter wollten die letzte große romantische Orgel im ganzen Land unbedingt ausrangieren, schließlich war die Nachfolgerin schon zu einem Drittel angezahlt. Lampl versuchte vergebens, das Instrument irgendwo in einer anderen Kirche unterzubringen, baute Teile auf eigene Kosten daheim in Schliersee auf, doch auch dort war kein Bleiben.

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Schließlich kaufte Lampl die Orgel selbst, und um sie irgendwo aufbauen zu können, kaufte er 1987 auch noch das ziemlich heruntergekommene Alte Schloss in der Valley. Das Tuffsteingemäuer, einst Pflegamt und Gericht für die umliegende Grafschaft, war lange ein Gasthaus, hat dann für einige Jahre dem Schriftsteller Michael Ende gehört und danach noch ebenso halbherzige wie rücksichtslose Sanierungsversuche erdulden müssen. Lampl und seine Frau, eine Lehrerin und studierte Konzertpianistin, gingen es anders an, unermüdlich, mit eigenen Händen und mit dem Geld, das Lampl nach und nach mit dem Verkauf von Grundstücken des elterlichen Bauernhofs am Schliersee eingenommen hat.

Auch die Orgeln wurden immer mehr, denn die romantische Bauweise und Klangkultur aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte schon seit der Nachkriegszeit kaum mehr Freunde unter den jüngeren Organisten und den Verantwortlichen in den Bistümern. Als Ideal galten längst wieder die Trennschärfe und der silberhelle Klang des Barock, während sich die Töne aus den meist viel offener konstruierten Gehäusen der romantischen Orgeln unter den Deckengewölben der Kirchen miteinander mischen.

Lampl hat erklärtermaßen wenig Verständnis für diesen Trend zum Neubarocken, der seine Sammlung wachsen und wachsen ließ. Doch Lampl pflegt solche Differenzen nicht nur mit dem einen oder anderen Kirchenmusiker und Diözesanreferenten, sondern auch mit seinen ehemaligen Kollegen von Landesamt für Denkmalpflege. Die wollen wenig wissen von seinen Plänen für einem großen Anbau an das Alte Schloss, wie es ihn im 18. Jahrhundert schon einmal gegeben hat. Die letzten kümmerlichen Reste hat er nach eigenen Angaben irgendwann mal beseitigt, um eine Halle für seine Orgeln zu bauen, aber damit aus behördlicher Sicht auch jeglichen Bestandsschutz und damit praktisch auch das Baurecht verwirkt.

Aber "der Lampl", der öfter in der dritten Person über sich selber spricht, ist keiner, der so schnell aufgibt. 2008 durfte er immerhin einen Anbau schaffen, der das schiefe Gemäuer des Alten Schlosses am Umkippen hindert. Darin stehen auf zwei hellen Etagen die meisten der zwei Dutzend spielbaren Orgeln in Lampls Orgelzentrum. Das öffnet er nur für angemeldete Gruppen, denen sich dann auch einzelne Gäste anschließen können. Lampl kann zu jedem Instrument wohl fast so viele Geschichten erzählen, wie es Pfeifen hat. Wenn er auf ihnen vorspielt, dann wirkt es fast so, als hätte ihn nicht das Alter ein bisschen gebeugt, sondern als hätte sich seine Gestalt über die Jahre schlicht an die Erfordernisse des Orgelns angepasst.

Die alte Orgel aus dem Heidelberger Capitol-Kino hat Stummfilme begleitet

Wenn Lampl durch seine Sammlung führt, trägt er gerne einen langen Lodenmantel und einen Filzhut, denn der Weg führt auch hinaus ins Freie. Ein paar Schritte entfernt hat er Anfang 2002 eine ehemalige Sägerwerkshalle aus dem nahen Grub wieder aufbauen lassen, die dort abgerissen werden sollte. Diese "Zollingerhalle" ist nach einem ehemaligen Berliner Stadtbaumeister benannt, der während des Ersten Weltkriegs notgedrungen eine Dachkonstruktion ganz ohne längere Holzbalken entwickelt hatte. Die Konstruktion hat sich als akustischer Glücksfall erwiesen und dient nun als Konzertsaal mit sieben verschiedenen Orgeln, in zwei Kellergeschossen finden sich zahllose Spieltische und weitere Ausstellungsstücke. Den alten Bundwerkstadel des Klosters Weyarn, den ihm ein Bauer ursprünglich als Altholz angeboten hatte, hat Lampl ebenfalls als Ganzen hierher versetzen lassen und zum Lager gemacht. Er ist auf einer Länge von mehr als 30 Meter übervoll mit Orgeln und Orgelteilen, wie sie auch die vier Etagen im Dachboden des alten Schlosses füllen.

Ein ganz seltenes Schmuckstück will Lampl unterirdisch ausstellen. In einem gefliesten Kellerraum unter aufgeschüttetem Erdreich wartet die alte Orgel aus dem Heidelberger Capitol-Kino auf Bewunderer. An ihr wurden Stummfilme begleitet, samt Spezialeffekten wie Hupen, Bahnschranken, Trommeln oder Kirchenglocken. Lampl und die beiden polnischen Orgeltechniker, die ihm für einige Monate im Jahr zur Hand gehen, haben fünf Jahre gebraucht, um sie zusammenzusetzen. Doch öffentlich präsentieren darf Lampl sie nicht, es mangelt am Brandschutz, speziell an den Fluchtwegen. Abhilfe soll ein unterirdisches System von Zugängen zu allen Ausstellungsgebäuden schaffen.

Eine Baugenehmigung gäbe es wohl, aber bei der Finanzierung über die Bayerische Landesstiftung und andere Fördertöpfe spiele wieder der Denkmalschutz nicht mit, klagt Lampl. 250 000 Euro fehlen noch, die Grundstücke am Schliersee sind längst verkauft, von der einstigen Oldtimersammlung steht nur noch ein alter blauer Mercedes in der Garage, und die Konzerte spielen auch nicht allzu viel ein. Die Eintrittsgelder fürs Museum schon gar nicht. Auch für die eigene Stiftung, die Lampl und seine Frau vor einigen Jahren gegründet haben, sind sie noch auf der Suche nach Zustiftern. Denn wie die Geschichte all dieser Orgeln irgendwann einmal ohne Sixtus Lampl weitergehen wird, ist offen.

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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