Sicherheit:Besondere Lagen

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Das Bayerische Rote Kreuz will seine Rettungskräfte für den Einsatz bei Anschlägen wie in Ansbach und Amokläufen wie in München gezielter schulen

Von Dietrich Mittler, München

Stefan Kornhaas weiß, was Terror bedeutet. Als im Juli in Ansbach der Selbstmord-Attentäter Mohammad Daleel zuschlug, steuerte der 38-Jährige kurz darauf als sogenannter Abschnittsleiter die Rettungsmaßnahmen mit. Von dem am Anschlagsort eingesetzten Leitenden Notarzt erfuhr er, dass hier keine Gasflasche explodiert war, sondern Sprengstoff. "Da habe ich zwei, drei Minuten gebraucht, bis mein Kopf wieder frei war", sagt er. Doch die Eindrücke sind immer noch präsent.

Grund genug, dass Kornhaas am Mittwoch nach München kam, um an einer Tagung von Rettern und Sicherheitsbehörden teilzunehmen. Zielvorgabe: "Management für besondere Schadenslagen (Terror/Amok)". Als Kornhaas dann während des Vortrags "Spezielle Verletzungsmuster in besonderen Lagen" kurz aus dem Saal ging, kam ihm die Erinnerung an diesen Sonntagabend im Juli zurück. Und wie er Stunden später jenem Rettungsassistenten gegenübersaß, der Mohammad Daleel zu reanimieren versucht hatte. Der 27-jährige Syrer konnte nicht ins Leben zurückgeholt werden. Er starb an seinen inneren Verletzungen. Das lange Gespräch, das Kornhaas als Rettungsdienstleiter des BRK-Kreisverbands Ansbach mit seinem Kollegen führte, hatte aber einen ganz anderen Hintergrund: Der Bombenrucksack war nicht komplett hochgegangen. Der Kollege hatte den beschädigten Rucksack vom Verletzten weggehoben, um besser an ihn heranzukommen. "Zu wissen, dass er hier neben einer Nagel-Bombe reanimiert hat, das hat meinen Kollegen am meisten belastet", sagt Kornhaas. Schließlich hat der Mann Kinder.

Rettungseinsätze nach Anschlägen lassen sich nicht bis ins Detail vorherplanen. "Es gibt kein Patentrezept", heißt es am Rande der nicht öffentlichen Tagung, die vom BRK als Veranstalter dezent in die Senioren-Wohnanlage am Kiefergarten gelegt wurde. Klar ist, das Rote Kreuz will seine Leute für solche Einsätze besser gewappnet wissen - zum Nutzen der verletzten Opfer, aber auch zur eigenen Sicherheit. Dazu gehört, dass Rettungskräfte die den Sicherheitskräften bereits vorliegenden Informationen ebenfalls erhalten, und nicht erst aus Facebook oder über Twitter - wie offenbar geschehen beim Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum.

BRK-Präsident Theo Zellner sowie auch seine Mitarbeiter wollen hier nicht ins Detail gehen. "Wir als Rotes Kreuz sehen eine besondere Verantwortung darin, die handelnden Personen an einen Tisch zu bringen", sagt er und spricht von einer "Initialzündung". Grundsätzlich gelte: "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Terror auch bei uns in Bayern angekommen ist." Erstmals seien nun Führungskräfte der Polizeibehörden und der Hilfsorganisationen, aber auch jene der Bundeswehr zusammengebracht worden, um die Einsatzlagen abzustimmen. Daraus sollten neue Strategien hervorgebracht werden. "In der Alarmsituation müssen wir auf Augenhöhe miteinander verhandeln können", sagte Zellner. Aus dem Nebeneinander müsse ein effizientes Miteinander entstehen.

In diesem Sinne erfuhren viele Tagungsteilnehmer erstmals aus dem Mund des Münchner Profilers Markus Hoga, wie sich aus bislang unauffälligen Menschen Terroristen und Amokläufer entwickeln. Motto: "Täterprofile, Motive, Verhaltensmuster". Auch ging es um die "Taktische Einsatzmedizin", die sich so sehr von den üblichen Rettungseinsätzen unterscheidet, bei denen die Verletzten oft noch an Ort und Stelle intensiv behandelt werden.

Das aber ist unmöglich in Situationen, in denen mit Zweitschlägen gegen Rettungskräfte zu rechnen ist. Hier gelte es, Patienten so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone zu bringen. Gut 60 Prozent der bei einem Anschlag verletzten Opfer haben lebensbedrohliche Blutungen, wie Florian Meier, der stellvertretende BRK-Landesarzt, sagt. Die bittere Lehre aus den Anschlägen in Boston und Paris: Dazu braucht es entsprechende Gerätschaften zum Abbinden. Die BRK-Rettungsteams sind mittlerweile ausreichend damit ausgestattet. Auch soll in der Oberpfalz frühestens 2018 ein verbandsübergreifendes Ausbildungszentrum für den Bevölkerungsschutz entstehen - voraussichtlich im Bereich Neustadt an der Waldnaab oder im Raum Weiden-Tirschenreuth. Aber trotz aller Bemühungen müsse man sich eines bewusst sein, warnt der Leitende Kriminaldirektor Lothar Köhler: "Es gibt keine absolute Sicherheit."

© SZ vom 10.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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