Schwimmbäder in Bayern:Das ist der Untergang

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Der Unterhalt der öffentlichen Schwimmbäder kostet die Städte und Gemeinden viel Geld. Steht eine teure Sanierung an, droht die Schließung. (Foto: Johannes Simon)

Bayern wird zum Land der Nichtschwimmer: Den Kommunen geht das Geld aus und Schwimmbäder müssen schließen. Die Folge? Immer mehr Menschen ertrinken, weil sie sich nicht über Wasser halten können.

Von Hans Kratzer, München

Die Schwimmkultur in Bayern steckt in der Krise. Fast ein Drittel der öffentlichen Bäder im Freistaat ist sanierungsbedürftig, viele Kommunen wollen sich diesen Luxus nicht mehr leisten. Die große Zeit der Frei- und Hallenbäder neigt sich dem Ende zu. Ihr Aufschwung hatte in den Sechzigerjahren eingesetzt, als mit dem wachsenden Wohlstand der Wunsch nach Freizeit- und Sportanlagen einherging. Das architektonisch gestylte Freibad mit gepflegter Liegewiese wurde zum Statussymbol der aufstrebenden Kommunen.

Für den Schwimmsport brachen goldene Zeiten an. Tatsächlich konnte sich bis dahin nur eine Minderheit der Bevölkerung schwimmend über Wasser halten. Die meisten Kinder waren Nichtschwimmer. Auf dem Land zählte nur die Arbeit, Sport und Spiel rangierten weit hinten. Seen und Flüsse wurden deshalb schnell zur Todesfalle.

Bis weit in die Nachkriegszeit hinein sind die Dorfchroniken voll von Berichten über Badeunfälle und junge Menschen, die in einem Fluss oder in einem See ertrunken sind, weil zum Beispiel ein Boot gekentert war. Das erinnert fatal an die gegenwärtige Situation von Flüchtlingen, die auf Seelenverkäufern über das Mittelmeer geschleust werden, obwohl viele von ihnen nicht schwimmen können und beim Kentern unrettbar verloren sind.

Bayerns gestörtes Verhältnis zum Schwimmen

Erstaunlich lange duldeten die Menschen diese Gefahr. Dabei hatte der Pädagoge Guts Muths schon 1798 im "Kleinen Lehrbuch der Schwimmkunst" Konsequenzen gefordert: "Bis jetzt ist das Ertrinken Mode gewesen, weil das Schwimmen nicht Mode war, soll denn bei uns nicht das Schwimmen auch Mode werden?" Seine Worte verhallten ergebnislos.

Das lange Zeit gestörte Verhältnis der bayerischen Bevölkerung zur Schwimmkultur ist zur Genüge belegt. Der Karikaturist Ernst Maria Lang verrät in seiner Autobiografie, der Münchner Bürgermeister Karl Scharnagl (1881-1963) habe sein Amt aufgeben müssen, nachdem er ein Hallenbad als Erster benützt hatte - allerdings splitternackt. Und im Passauer Schwimmbad war noch 1968 das Tragen eines Bikinis verboten. Die Nazis wiederum schikanierten die Passauer, indem sie von den Schülern einen Kopfsprung vom Dreimeterbrett verlangten. Dabei wusste ein jeder, dass die Parteibonzen selber nicht schwimmen konnten.

Früher lernten nur solche Kinder das Schwimmen, die in einen Fluss oder in einen See stiegen. Der Autor Karl-Hans Graf aus der Oberpfalz hat über den Wert des Schwimmens in Zeiten ohne Freibad ein einfühlsames Buch geschrieben. Er erzählt die Geschichte eines Schülers, der als Außenseiter immer nur "blöder Sauschwanz" gerufen wurde. Bis sein Großvater mit ihm zum Fluss ging und ihm das Schwimmen beibrachte. Zum ersten Mal erfuhr der Bub Selbstbestätigung. Seine Angst war weg. "Wir durften im Fluss schwimmen, Baumhäuser bauen und wir verbrachten ganze Nachmittage damit, um Schiffchen zu schnitzen. Es war ein Luxus, der heute nicht mehr vorstellbar ist."

Freibad als Treffpunkt

Mit dem Aufkommen der Freibäder geriet die alte Flussherrlichkeit ins Abseits. Für Jugendliche eröffnete sich schlagartig eine neue, aufregende Erlebniswelt. Das Freibad wurde für Schüler zum täglichen Treffpunkt, an dem sich die Sommertage schier endlos hinzogen, voller Mutproben, Liebeleien, und alles umflort von Chlor-, Pommes- und Sonnenöldüften. Es gab kaum einen Jugendlichen, der in dieser Zeit nicht schwimmen konnte. Die Ära des Nichtschwimmens und des fahrlässig herbeigeführten Badetods schien überwunden zu sein. Doch es kam anders.

Die Schließung von Anstalten wie etwa dem Nürnberger Volksbad ließ die Zahl der Nichtschwimmer sofort wieder ansteigen. Thermenpaläste und Massagedüsen-Oasen sind kein Ersatz für die Freibäder: Dort wird nicht geschwommen, sondern geplantscht. Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, nennt diese Entwicklung dramatisch. "Die motorischen Defizite bei Schulkindern werden immer schlimmer." Zum Schwimmen gebe es schon aus gesundheitspolitischer Sicht keine Alternative. Die Politik müsste doch das größte Interesse am Fortbestand der Bäder haben, sagt Kraus.

Es ist seltsam, dass einerseits das ganze Leben immer mehr auf Sicherheit getrimmt wird, dass Kinder nicht mehr klettern dürfen, aber andererseits nicht mehr schwimmen lernen, eine der wichtigsten Sicherheitsmaßnahmen überhaupt. Mancherorts wehren sich die Menschen dagegen. In der Gemeinde Berg in der Oberpfalz verhinderte vor kurzem eine Bürgerinitiative die Schließung des Freibades. Die Schwimmkurse werden fortgesetzt.

© SZ vom 13.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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