Schweinfurt:Grüne entdecken ihr Bauchgefühl

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In Schweinfurt feiert sich die Landespartei als besonnener Gegenentwurf zur CSU. Ihren Vorsitzenden wählen die Delegierten mit überwältigender Mehrheit wieder

Von Lisa Schnell, Schweinfurt

Zwei Zettel ziehen sie aus den Kisten auf der Bühne des Parteitags der Grünen. Zwei Fragen an Eike Hallitzky, der sich nach zwei Jahren erneut für den Landesvorsitz bewirbt. Er ist der einzige Kandidat, der Blumenstrauß liegt schon bereit. Gibt es am Ende etwa doch noch Kritik? "Lieber Eike, ich würde dir gerne ein dickes Lob aussprechen, ich weiß aber nicht, darf ich ans Mikro gehen?", steht auf dem Zettel. Mit einer überwältigenden Mehrheit von 90 Prozent wählen die Grünen Hallitzky wieder. Der ganze Saal steht, Bravo-Rufe, so viel Applaus, dass Hallitzkys Dankesworte gar nicht mehr zu hören sind.

90 Prozent, ein Ergebnis, das man vielleicht bei der CSU erwartet, nicht aber bei den wenig konfliktscheuen Grünen. Sechs Jahre ist es her, dass Dieter Janecek mit 89 Prozent ähnlich hohe Zustimmung erreichte. "Hallitzky war vom ersten Tag genau am richtigen Platz", sagt Landtagsabgeordnete Ulrike Gote. Im Landtag hatte sich Hallitzky in zehn Jahren als Haushaltsexperte einen Namen gemacht. "Sehr reisefreudig", präsent bei der Basis, einer der ausgleichen kann, immer weiß, "was läuft in der Partei", so die Lobesreden auf Hallitzky. Als er sich in einer knappen Stichwahl vor zwei Jahren durchsetzte, sorgten seine knallroten Turnschuhe für Kommentare, jetzt leuchtet es an seinen Füßen grün.

"Grün pur", so stellt sich Hallitzky auch den Wahlkampf für die Grünen vor. Die letzten zwei Jahre hat er mit einer Strukturreform nach Innen gearbeitet, für bessere Vernetzung gesorgt. Dass die Grünen 2016 nun ein Prozent mehr Mitglieder haben, liege auch an ihm, heißt es. Jetzt aber müsse die Partei mehr nach Außen wirken, sagt Hallitzky. Die Grünen positionieren sich als klare Alternative zum "bitterbösen Spiel der CSU".

"Die Partei, die sich christlich nennt, hat das C im Namen schon längst verwirkt", sagt Landesvorsitzende Sigi Hagl. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth erinnert an die "von Wut und Hass verzerrten Gesichter" der Pegida-Demonstranten bei den Feierlichkeiten des Tags der Deutschen Einheit. "Da kippt etwas weg", sagt sie. Daran sei nicht zuletzt die CSU schuld, die der AfD nicht nur hinterher laufe, sondern sie "immer häufiger auch rechts überholt". Diejenigen aber, "die Gewalt herbeireden, die bedrohen, schreien, brennenden Asylbewerbern zuklatschen", seien die Minderheit. "Lasst uns der Mehrheit eine Stimme geben und nicht immer nur der Minderheit die Räume frei geben", ruft Roth begeisterten Gesichtern zu. Die Grünen stünden für ein "Bayern voller Mut und Optimismus", seien der "positive und zuversichtliche Gegenentwurf zur verängstigten und angstschürenden CSU", sagt Hallitzky. Das Problem sei nur, dass die Wähler zwar im Kopf wissen, was die wichtigen Themen sind, das Bauchgefühl aber von "Burka und Burkinis" bestimmt werde. Die Grünen bräuchten deshalb "mehr Bauch als Kopf". Dann würde bei den Wählern auch ankommen, dass sie viel mehr könnten als Umweltschutz.

Etwa Bildung, die in einer Einwanderungsgesellschaft noch wichtiger werde. Sie müsse auf der einen Seite die Flüchtlinge mit Kompetenzen ausstatten, auf der anderen Seite dürfe keine "Neiddiskussion" entstehen, sagt Hallitzky zum Bildungsleitantrag, den die Grünen auf ihrem Parteitag einstimmig verabschieden. Bildung müsse die "Antwort geben auf die Verunsicherung der Menschen". Die Positionen von Kirchen und anderen Großorganisationen hätten ihre Bindekraft verloren. Man müsse die Einzelnen "selber stark machen, damit sie den Rechtspopulisten nicht auf den Leim gehen", sagt Hallitzky. Deshalb fordern die Grünen eine Stärkung der politischen Bildung als Querschnittsaufgabe im Lehrplan.

Außerdem sprechen sich die Grünen für eine Begrenzung des Flächenverbrauchs in Bayern auf höchstens 4,7 Hektar am Tag aus, um den "Flächenfraß ohne Maß und Verstand" zu stoppen, so Fraktionsvorsitzender Ludwig Hartmann. Mit ihrem Leitantrag zur sozialen Gerechtigkeit weisen sie darauf hin, dass es auch im reichen Bayern einen "eklatanten Wohnungsmangel" und Armutsrisiko für Rentner und Alleinerziehende gebe, dem sie mit einer gerechteren Verteilung von Einkommen und Vermögen entgegen treten wollen.

Die Delegierten, strickend oder mitgebrachte Datteln essend, verabschieden fast alle der großen Anträge ohne Gegenstimme. Einstimmig auch das Votum, eine Urabstimmung für die Spitzenkandidaten bei der nächsten Landtagswahl zu ermöglichen. Auch wenn manche anmerken, dass die Landtagsfraktion von einer Urwahl nicht immer so begeistert war "wie man es bei einer basisdemokratischen Partei vermuten sollte", ist es ein Wohlfühl-Parteitag voller Umarmungen.

Nur eine versucht aufzurütteln: Landtagsabgeordnete Claudia Stamm, die sich gerne als letzte Kämpferin für die Ideale der Partei präsentiert. Sie fordert die Partei auf, "sich ehrlich zu machen", wenn über eine Koalition mit der Union im Bund gesprochen wird. "Wenn wir von Schwarz-Grün im Bund reden, dann müssen wir uns bewusst sein, dass wir auch dort mit der CSU koalieren", ruft sie den Delegierten entgegen. "Wir werden nicht dafür gewählt, dass wir uns in die Ecke stellen und sagen, mit wem wir nicht koalieren", sagt Landtagsabgeordnete Gote. Eine große Koalition befördere den Rechtspopulismus, gibt Bundesfraktionsvorsitzender Anton Hofreiter zu bedenken. Allein aus Verantwortung für die Demokratie müssten sich die Grünen auf die Option Schwarz-Grün vorbereiten. Den Kuschel-Parteitag kann Stamms Vorstoß nicht stören. Außer Journalisten hätte sich niemand dafür interessiert, heißt es unter den Delegierten.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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