Runder Geburtstag:Der letzte Weltpolitiker

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Seinen runden Geburtstag will der frühere CSU-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Theo Waigel mit Familie, Freunden und Nachbarn verbringen. "Ich hoffe, ich habe meine Ruhe", sagt er. (Foto: Sammy Minkoff/Imago)

Ohne Theo Waigel hätte die CSU bundesweit wohl an Bedeutung verloren. Der 80-Jährige mischt sich heute zwar nur noch selten ein, dann aber mit Wucht

Von Wolfgang Wittl, München

Eines hat sich Theo Waigel fest vorgenommen: Seine ersten Stunden im neuen Lebensjahrzehnt will er am Ostermontag ohne Trubel genießen. Vormittags besucht er den Gottesdienst in seiner Heimat Seeg, danach geht es mit Familie, Freunden und Nachbarn zum Mittagessen. Darauf freue er sich, sagt Waigel. "Ich hoffe, ich habe meine Ruhe." Sein schönstes Geschenk hat er ohnehin bereits erhalten, wie er unlängst erzählte. Nach einem Schulbesuch wurden Schüler gefragt, wie sie den früheren CSU-Vorsitzenden und Bundesfinanzminister denn so fänden. Da sagte einer: "Ein geiler alter Knacker" sei dieser Waigel. "Schade, dass er weg ist vom Fenster." Ein größeres Kompliment könne man sich zum 80. Geburtstag doch gar nicht wünschen, fand Waigel.

Sein Wunsch nach Ruhe ist indes verständlich, hinter Waigel liegen anstrengende Wochen. So viel Aufmerksamkeit hat er seit seinem Abschied vor gut zwanzig Jahren aus der aktiven Politik als bis heute dienstältester Finanzminister selten bekommen. Interviews, PR-Termine, Dutzende Anfragen. Andererseits hat er den Weg in die Öffentlichkeit selbst gewählt und den Eindruck vermittelt, als würde er sich mit seiner Rolle im Mittelpunkt immer noch gut zurechtfinden. Zu seinem runden Geburtstag brachte er seine Autobiografie auf den Markt ("Ehrlichkeit ist eine Währung", Econ). Eine kurze Episode stieß auf besonderes Interesse.

Waigel schildert, wie er den Machtkampf mit Edmund Stoiber 1993 um das Amt des Ministerpräsidenten erlebt hat. Wie Umfragen ihn vorne gesehen hätten. Wie CSU-Landtagsabgeordnete auf Journalisten eingewirkt hätten, sie sollten endlich berichten, dass Waigel von seiner Frau getrennt lebe und mit der früheren Skirennläuferin Irene Epple liiert sei (mit der er jetzt 25 Jahre verheiratet ist). Wie Stoiber ihm einen Brief schickte, in dem er solche Machenschaften scharf verurteile; ihm derlei Vorgänge aber nicht bekannt seien. "Das nehme ich ihm nicht ab", schreibt Waigel kühl. Zur ewigen Wahrheit in der CSU gehört aber auch, dass über den Ministerpräsidenten keine Umfrage entscheidet, sondern die Landtagsfraktion. Und die setzte auf Stoiber.

Auch in anderen Passagen blitzen Spitzen auf, etwa wenn er Stoiber fehlenden Dank für Weggefährten vorwirft. Unverhohlen prangert Waigel die christsoziale Doppelmoral an, wenn er beschreibt, wie sein Privatleben schon fünf Jahre vorher bei seiner Wahl zum Parteichef bekannt gewesen sei, ohne dass sich daran jemand gestört habe. Manche Medien titulierten Waigels Buch als große Abrechnung mit Stoiber. Das wird weder dem Werk noch Waigels hintersinnigem Humor gerecht.

Zwar beweist Waigel Seite für Seite, weshalb ihm ein Elefantengedächtnis nachgesagt wird. Die Erinnerungen umspannen aber sein ganzes Leben. Über die Briefe seines Bruders Gustl, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg fiel, definiert er etwa seine Position als überzeugter Europäer. Über die Defizite der Europäischen Union brauche ihm niemand etwas zu sagen, darüber könne er ein dickeres Buch schreiben als Peter Gauweiler. "Und doch konnte uns etwas Besseres nicht passieren."

Parteifreunde halten Waigels Bedeutung für unterschätzt. Obwohl immer heimatverbundener Schwabe geblieben, gilt er heute als letzter Weltpolitiker der CSU. Es sei nur Theo Waigel zu verdanken, dass die CSU nach dem Tod von Franz Josef Strauß nicht zur Regionalpartei für Bayern reduziert wurde, sagt Alois Glück, der frühere Landtagspräsident. "Das ist und bleibt sein historisches Verdienst." Ohne Waigel, den Vater des Euro, hätte die skeptische CSU im deutschen und europäischen Einigungsprozess keine Rolle gespielt. Glück: "Aus München kam nicht Unterstützung, sondern nur Gegenwind." Doch Waigel war daran gewöhnt, Kompromisse gegen interne Widerstände durchzusetzen. Schon Strauß hatte er belehrt, dass man im Bund einer Koalition angehöre. Wenn sein Buch jetzt in der Rubrik "Präsidenten und Staatsoberhäupter" gelistet wird, dürfte ihn das diebisch freuen.

In die Tagespolitik mischt Waigel sich selten ein, aber mit Wucht. Als einer von wenigen in der CSU bezog er im Flüchtlingsstreit Partei für Angela Merkel. Nicht weil er ihren Standpunkt durchweg teilte, vielmehr weil er die Totalkonfrontation der CSU mit der Kanzlerin für falsch hielt. Heute sieht er mit Genugtuung, wie Markus Söder diesem Kurs folgt: klare inhaltliche Positionen, kein offener Streit mit der CDU, strikte Abgrenzung gegenüber der AfD mit einer Politik der Mitte. Söder gibt offen zu, dass er den Rat des Ehrenvorsitzenden sucht. Weniger bekannt ist: Der Vorschlag zum runden Tisch beim Volksbegehren Artenschutz mit dem Moderator Alois Glück stammt von Waigel. Mit der Würdigung seines politischen Lebens sei er durchaus zufrieden, sagt Waigel, aber darauf komme es nicht an. Sondern? "Man muss vor sich selbst bestehen."

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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