Rosenheim:Raserei oder Rennen

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In einem zweiten Anlauf versucht das Amtsgericht Rosenheim zu klären, ob zwei junge Frauen wegen eines illegalen Autorennens sterben mussten. Ein Angeklagter räumt seine Schuld ein und belastet den anderen

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Der junge Mann sitzt zurückgelehnt und mit verschränkten Armen da und gähnt. Er macht nicht den Eindruck, als ob ihn das betreffen oder gar betroffen machen würde, was eine ganze Reihe von Zeugen von jenem Abend im November 2016 berichten. Davon, wie sie im Dunkeln an die Unfallstelle auf der Umgehungsstraße im Rosenheimer Süden gekommen sind. Wie sie den Menschen Erste Hilfe geleistet haben, die in den Autos steckten. Für die 21-jährige Fahrerin des grünen Kleinwagens kam alle Hilfe zu spät, das 15 Jahre alte Mädchen auf dem Rücksitz starb kurz darauf im Krankenhaus. Deren Schwester hat überlebt, schwerst verletzt und bis heute schwer gezeichnet.

Dem zumindest äußerlich so ungerührten 24-Jährigen auf der Anklagebank und seinen drei Freunden ist damals nichts geschehen, und der zweite Angeklagte, 25, hat sich aus den körperlichen und seelischen Folgen des Unfalls so weit herausgekämpft, dass er verhandlungsfähig ist. Und so versucht das Amtsgericht Rosenheim nun im zweiten Anlauf herauszufinden, ob die jungen Frauen reine Zufallsopfer eines illegalen Autorennens der rücksichtslos rasenden Männer geworden sind. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung.

Einen ersten Anlauf hatte das Gericht im vergangenen Herbst unternommen, obwohl der zweite Angeklagte da von Gutachtern auf Dauer verhandlungsunfähig geschrieben war. Doch dem einen Angeklagten sei es nicht zuzumuten, so lange ohne Prozess auf seinen Führerschein verzichten zu müssen, den ihm die Polizei in jener Nacht abgenommen hatte, hieß es damals. Ohne den anderen Angeklagten war dieser Prozess am zweiten Verhandlungstag geplatzt, der jetzt 24-Jährige hatte seinen Führerschein zurückerhalten. In der Nacht vom 3. auf den 4. April musste er ihn jedoch wieder abgeben. Er hat sich laut Polizei ein wildes Autorennen mit einem anderen BMW-Fahrer geliefert, bis in die Rosenheimer Innenstadt, wo ihn die Beamten schließlich stoppen konnten. Dass dabei kein anderer Verkehrsteilnehmer in unmittelbare Gefahr geraten sei, ist nach Angaben der Polizei nur dem Zufall zu verdanken. Dieses mutmaßliche Rennen vom April ist noch nicht gerichtlich aufgearbeitet. Der Verteidiger will verhindern, dass es im laufenden Prozess eine Rolle spielt, solange die Staatsanwaltschaft ihre Anklage nicht im Nachtrag erweitert.

Die Staatsanwaltschaft hatte sich schon beim ersten Prozess im Herbst kaum die Beweisführung zugetraut, dass es auch an jedem Abend 2016 ein Rennen gab zwischen zwei getunten BMW und dem hoch motorisierten roten VW Golf, der mitten in einem Überholmanöver frontal mit dem entgegen kommenden Kleinwagen der jungen Frauen zusammengestoßen und wie dieser fast bis ans Armaturenbrett zusammengestaucht worden war. Zeugen schilderten, wie sich die drei Autos einander zuvor regelrecht über die Straßen gejagt hätten. Vom Unfall gibt es keine unbeteiligten Zeugen. Die überlebende junge Frau aus dem Kleinwagen erinnert sich nur, wie sie mit ihrer Schwester und mit der Freundin am Steuer vom Pizzaessen heimfuhr. Dann setzt die Erinnerung erst wieder ein, als sie im Krankenhaus erfuhr, dass die beiden anderen tot sind. Sie hat vier Operationen hinter sich, bald sollen die Stahlplatten aus dem Gesicht kommen, doch ihr Geruchssinn ist nicht zurückgekehrt. Arbeiten kann sie immer noch nicht.

Der 25-jährige Fahrer des Golf mit dem Ulmer Kennzeichen hatte sich über ein Internet-Portal mit einer anderen Tuning-Freundin aus Österreich in Rosenheim verabredet. Die örtlichen Autonarren kannte er nicht, die sich erst auf dem Parkplatz eines Möbelhauses getroffen hatten und dann in ein Schnellrestaurant nach Kolbermoor fuhren. Auf der Umgehungsstraße hätten erst die BMW den zu der Zeit langsamen Golf überholt, kurz darauf habe der Golf zum Überholen angesetzt, so weit herrscht Einigkeit unter den Beteiligten. Der Golffahrer folgte der Anklage zu Beginn des zweiten Prozesses teils unter Tränen und räumte seine Schuld ein. Jedoch habe ihn der andere Angeklagte in seinem BMW nicht wieder einscheren lassen, um den Frontalzusammenstoß zu verhindern. Der zweite BMW sei so knapp hinter dem ersten gefahren, dass sich dazwischen ebenfalls keine Lücke aufgetan habe. "Die Schweine haben mich nicht reingelassen", habe er ihr unmittelbar nach dem Unfall am Telefon gesagt, erklärt nun seine Schwester vor Gericht. Diesen Vorwurf erhebt auch die Staatsanwaltschaft gegen den Fahrer des vorderen BMW, das Verfahren gegen den des hinteren hat sie vorerst fallen gelassen. Als möglicher Beschuldigter muss er aber nicht aussagen, und die Beifahrer, auch sie Mitglieder der Tuning-Clique, wollen von einem Rennen nichts wissen. Einer schrieb in einer Nachricht auf seinem später beschlagnahmten Handy noch, dass man dieses Mal wirklich kein Rennen gefahren sei.

Der Sachverständige hat das Geschehen aufwendig rekonstruiert, zur entscheidenden Frage des Einscherens und Abstands zwischen den BMW kann aber auch er nur verschiedene Szenarien bieten. Die Mutter der toten 15-Jährigen bekräftigt als Nebenklägerin, dass sich jeder mitschuldig mache, der sich an nichts mehr erinnern wolle. "Die ganze Wahrheit gehört gesagt, dann wird eine Mutter verzeihen können. Ansonsten nie. Nie." Ein Urteil soll am kommenden Donnerstag fallen.

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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